Freiheit und Determination

Wir sind als Menschen nicht trennbar von den Schöpfungsmythen und der unbewussten Anbindung an universelle Symbole und ihrer schwierigen Beziehung zu Religion, Werten und Normen der Gesellschaft. Für die Astrologie fehlt innerhalb moderner Sozialwissenschaft noch eine wissenschaftstheoretische Begründung, die das Problem der Determinantion und Vorsehung und den komplexen Begriff der Zeit klären hilft.

 
Heute haben sich aus der Soziologie und Psychologie viele eigenständige Fachbereiche entwickelt, von denen die meisten der praktischen Anwendung in therapeutischer Arbeit gewidmet sind. Damit wurde vor allem im Bereich der sozialen Arbeit und sozialpsychischen Arbeit unsere Gesellschaft von der Wurzel heraus revolutioniert und umgestaltet. Die Astrologie spielt dabei die Rolle einer ambivalenten Swidder-Wissenschaft, die von dem offiziellen Lehrdienst ausgeschlossen wird (man erinnert sich an die Petition von über 20 Nobelpreisträgern aus den 80er Jahren, die der Astrologie jegliche Wissenschaftlichkeit absprechen wollten), sich aber dennoch einen Platz unter den „alternativen“ Ausbildungen erhalten hat. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Astrologie in erster Linie ein eigenständiges Denksystem mit eigener Syntax und Semantik ist, das vor allem das Lernen lehrt und damit der Weisheitslehren, Philosophie und Wissenschaft gleichermaßen nahe steht.

Die soziologische Systemtheorie und die Diskurs- und Gesprächsanalyse liefern einen wissenschaftstheoretischen Hintergrund, auf dessen Basis atrologisches Wissen evident wird im Sinne einer systemischen Betrachtung des Phänomen der Zeit und den damit verbundenen Vorstellungen, Hoffnungen, der Glaube an Schicksal und Determination, der soziale Systeme und ihre Teilnehmer im gleichen Maße wie vernünftige Überlegung prägt. Über die Sprache entstehen soziale Bindungen und die Vorstellungen des Menschen an seine gemeinsame Zukunft. Astrologie ist Sprach- und Systemanalyse der rationalen und irrationalen Anteile im Menschen, wie sie sich im indivuellen Horoskop und in den Konstellationen der Generationen widerspiegeln.

Das astrologische Kommunikations-System zeichnet sich durch die Absicht einer universellen Eklärung menschlicher, sozialer Zusammenlebensformen aus, im Speziellen in der Voraussicht des Verhaltens bezüglich der eigenen Historie. Sie stellt die Frage der Vorhersehung und damit die nach der Determinierheit der von Menschen gemachten Systeme und des Menschen selber und berührt damit das alte philosophische Problem des „freien Willen“. Auch wenn der systemische Hintergrund komplex und sehr theoretisch ist, so ist er doch die Voraussetzung für die Ersetzung kausaler und determinierender Weltbilder der Scholastik.Systemische Intervention mit ihrem epistemologischen Hintergrund der Kybernetik und des operativen Konstruktivismus nimmt Abstand von dem im westlichen Denken verwurzelten Kausaldenken mit dem Ausgangspunkt einer Subjekt/Objektbeziehung und legt den Fokus auf den prinzipiell offenen Prozess. Das ist auch für die Astrologie wesentlich. Denn eine Ableitung des menschlichen Schicksals über monokausale Gründe und physisch messbare Wirkung der Sterne ist weit entfernt von jeder praktischen Beweisbarkeit. Astrologie ist vielmehr ein komplexes und sozial differenzierendes Fach, das die Prämissen des Denkens und Fühlens für den Mitmenschen selbst vorgibt und gleichzeitig kritisch reflektiert. Menschliches Handeln ist nicht auf eindeutig bestimmbare Ursachen zurückzuführen, Konstellationen im Horoskop eröffnen immer mehrere Lösungswege für ein Problem. Wenn es nur eine Lösung für ein Problem gäbe, wäre die Lösung selbst wieder ein Problem, da sie in dem Problem enthalten sein müsste. Die Zukunft ist aber grundsätzlich offen, soziale Zustände irreversibel und irreduzibel auf Ausgangszustände und damit auch nicht eindeutigen  Zieleergebnissen bestimmbar. Jedes Ereignis ist einmalig, es ist nie wieder reproduzierbar, in kausalem Sinne wiederholbar, sondern nur in Anknüpfung an eine Spirale weiterführbar. Systeme sind grundsätzlich selbstdeterminierend. Jede Steuerung von Außen würde ihre Autonomie zerstören. Naturgesetze scheinen objektive, universal für alle geltende Gesetzte sein, aber auch sie gelten nur für den Ausschnitt der Wirklichkeit auf den sie angewandt werden, klassisches Beispiel die newtonische Physik, die durch die Reltaivitätstheorie erweitert wurde und diese wieder durch die Quantenphysik.

In der Antike propagiert die Philosophie der Stoa die totale Determiniertheit des menschlichen Schicksals. Die einzige Freiheit, die dem Menschen blieb, war das Schicksal anzunehmen oder nicht. Die Ausgeliefertheit an die Bedingungen des Lebens waren also umso größer, je mehr man sich dem Notwendigen verschloss. Dementsprechend war dieses System unter Staatslenkern besonders beliebt, die autoritäre Führunsgstrukturen bevorzugten. Das andere Extrem des Umgangs mit dem Schicksal kannten die Epikureer. Die gingen von der Wahlfreiheit des Menschen aus, nur die Natur sei in ihrem Wirken bestimmt und damit für den Menschen erkennbar. Im Existentialismus, dem auch oft ein Atheismus vorgeworfen wurde steigerte sich diese Anschauung dazu, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt ist, ja dass jeder einzelne gezwungen ist, sein Schicksal selbst zu kreiieren. Vorsehung gibt es in diesem Sinne nicht.

Zwischen den Extremen der „absoluten Vorhersehung“ und der „totalen Freiheit“ entwickelte sich der Konstruktivismus mit einer „weichen“ Form der Determination. Der Mensch ist im Äußeren frei, er ist nur bedingt durch seine inneren Anschauungen, die ihn die Welt so sehen lassen, wie er will, ohne dass er die eigenen Wahrnehmungen überprüfen kann. Auf die Astrologie übertragen würde dies bedeuten: Eine konkrete Prognose schränkt die Handlungsfreiheit zwar ein, kann aber die äußeren Umstände nicht beeinflussen. Sie ändert nur die Sicht auf die innere Wahrnehmung. Da alles 2 Seiten hat, bleibt uns die Wahl der Perspektive: Sehen wir eher den Aspekt der Freiheit oder den der Gebundenheit? Sehen wir eher die Liebe oder die Freiheit, sehen wir eher die Vernunft oder die Freiheit. Diese Freiheit sieht aus unterschiedlichen Blickwinkeln anders aus und diese hängen wesentlich von unseren gemachten Erfahrungen ab. Zu den verschiedenen Vergangenheiten gibt es jweils passende „Zukünfte“. Welcher dieser wir wählen hängt von der Bedeutung ab, die wir dem Geschehen geben. Planeten zwängen uns nicht in Rollen, sie sind nur Symbole für Mythen und Geschichten, die uns als Bilder für die Entscheidungsfindung dienen.

Negative Prognosen können in dieser Hinsicht hilfreich sein, weil sie Klarheit bringen. Eine ehrliche Antwort bewirkt häufig mehr als ein „Drumherumgerede“. Wenn der Opa an einer schweren Krankheit leidet, dann ist es vielleicht besser, dazu zu raten, die Angelegenheiten zu regeln, als schwammige Heilungsaussichten durchzugehen. Allerdings kann eine brutale Antwort auch für immer die Lust an der Astrologie nehmen. Dann stellt sich die Frage nicht mehr, ob die Sterne Einfluss auf unser Schicksal haben, denn niemand fragt mehr danach. Um von anderen Menschen im sozialen Kontext gesehen zu werden, spielen wir Rollen. In diesen Rollen sind wir identifizierbar, als trauernder, als aufsässiger, als ordnungsliebender, als moderner oder traditioneller Mensch. Sie drücken sich durch unsere Sprache aus und in diesen Rollen wollen wir erkannt und wertgeschätzt werden. Insofern ist das Leben mit Wittgenstein ein riesengroßes Sprachspiel.

Sprechen hat  immer auch einen emotionalen und gesellschaftlichen Anteil, der im Gegensatz zur Vernunft steht. Wir produzieren Redundanz und Beliebigkeit durch den Versuch logischer Festlegung und Bestimmung. Astrologische Aussagen geraten immer wieder in das Paradox der selbstbezüglichen Annahme, weil sie Nüchternheit vorgeben, wo höchst individuelles Erleben und Gestalten steht. Im Gegensatz dazu steht die scheinbar untrüglich sichere Bewegung der Sterne und Planeten, die den Aussagen einen glaubhaften Hintergrund vermittelt. Die Planetenbewegungen dienen der Astrologie als Referenzzeit zu dem subjektiven Erlebensraum und als Orientierung bei der Erfassung historischer Phänomene und Ereignisse, wie sie prägend für das Denken der jeweils folgenden Generationen ist. Damit schaffen sie ein Gefühl von Kontinuität, wo ansonsten nur Sprünge von Ereignissen und eine lückenhafte Erinnerung an sie ist. Kommunikation bedeutet im Sinne der Systemtheorie die wechselseitige Bezugnahme auf die Unmöglichkeit des Anderen, seine eigenen Blinden Flecke zu sehen und die stillschweigende Vereinbarung einer Reproduktion eines gemeinsamen Kontextes. Doch dazu ist die Kenntnis der Symbole und die Bereitschaft zum Spiel mit denselben Voraussetzung. Ansonsten hagelt es zwar „trockene Treffer“ in der Deutung, die aber nicht weiterführend sind. Fatalisten kommen nicht in astrologische Beratungen.

Die Unmöglichkeit des „Erkennens von Wahrheit“ und Aussagen über „absolute Werte und Regeln“ ist für systemische Denkweise typisch. Das scheint den Paradigmen der Astrologie zunächst zu widersprechen, die ja vorgibt, den „Menschen in seinem Innersten zu erkennen“. Die Paradoxonalität jeglichen Universalitätsanspruches und die Komplexität eines Erklärungsmusters für menschliches Verhalten macht es logisch allein unmöglich, das Verhalten eines Menschen aus den Sternen zu „berechnen“. Und doch besteht ein unabweisbarer Zusammenhang, ein Gefühl der Synchronizität und Übereinstimmung von kosmischen Perioden mit dem Alltag. Zeitvorstellungen sind durch die Sprache vorgegeben, Abläufe und Handlungsdynamiken entstehen im Sprechen selbst. Wieder und wieder wiederholen wir einfachste Überzeugungsmuster, die dann auch ein bestimmtes Handeln wahrscheinlich werden lassen. Vor allem in Zeiten von Krisen, in Krankheiten und Schicksalsschlägen sind wir offen für Ratschläge und bereit, „Bilanz zu ziehen“. Eine Haltung des Nicht-Wissens seitens des Beraters trägt diesem sensiblen Zustand Rechnung. Auch wenn er zu spüren glaubt, dass das Schicksal in eine bestimmte Richtung geht, so ist es nicht seine Aufgabe, dieses immer mitzuteilen. Viel überzeugender wirkt die Darstellung der eigenen Fehler und Schwächen – die die hierarchische Ebene durchbrechen und die Spannung der Krise lösen. Es geht im Kern einer Beratung immer um das Beziehungstheme, denn was uns als Menschen ausmacht, ist vor allem der soziale Kontakt. Den Kern der Beziehung zwischen Berater und Klient zu finden und daraus das Thema des Anliegens zu entwickeln ist die Kunst der Beratung. Oft spiegelt die Beratungssituation eine für beide bekannte Beziehungssituation, die Psychologie nennt dies Gegenübertragung. 

Alle anderen Themen sind nebensächlich, egal ob Gesundheit, Arbeit, Familie oder Weltbild. Es geht immer um ein zentrales Beziehungsthema, dass durch Selbstsabotage, Depression, Krankheit oder Geldprobleme verstellt wird. Die Determination, die wir im Leben erfahren ist im wesentlichen die Wiederholung negativer Muster aus der Kindheit, die wir solange wiederholen, bis wir erkennen, dass uns das Spiel nicht mehr weiterhilft. In der Beratung geht es im Wesentlichen darum, dass zu unterstützen, was uns aus dem Muster herausbringt. Es geht weder darum, Stärken herauszustellen, noch Schwächen anzuprangern, sondern die Mechanismen darzustellen, die das Muster mit sich bringt. Dazu braucht es im Prinzip keine Planeten und Methoden, sondern nur Lebenserfahrung und Kenntnis der Symbolebene, auf dem die „blinden Flecke“ auf die eigenen Schwächen und Stärken miteinander kommunizieren. 

Theorie und Praxis des Handelns bedingen sich gegenseitig. Wenn wir aufgrund bestimmter Vorstellungen an eine Sache gehen, dann werden wir ein Ergebnis erzielen, dass sich innerhalb dieser Vorstellungen bewegt und so muss jede Verallgmeinerung den Ausschnitt zwangsläufig begrenzen. Für die Astrologie bedeutet dies: Je persönlicher eine Aussage ist, desto höheren Wahrheitswert hat sie für den einzelnen; doch für den Preis der Verslustigkeit des Univeralitätsanspruches. Je genauer die astrologische Analyse ihre Aussagen präzisiert, desto kleiner wird der Ausschnitt der von ihr analysierten Wirklichkeit. Für einen einzelnen kann es die „absolute Erkenntnis“ sein, während der andere nicht mal versteht, wovon man spricht.