Astrologie hat eine gewisse gesellschaftliche Relevanz und besitzt rudimentäre Ansätze wissenschaftlichen Arbeitens. Bis jetzt hat sie allerdings nicht begonnen, systematisch ihre eigene Rolle in der Gesellschaft zu analysieren und daraus gewonnene Erkenntnisse in ihre Arbeit zu integrieren. Dieser Band stellt sich die Frage: Was könnte die Astrologie selbst zu einer soziologischen Rollentheorie beitragen und sich dadurch der Bedeutung ihrer eigenen Rolle mehr bewusst werden? Dazu wollen wir uns zunächst ansehen, was die verschiedenen Soziologen zu dem Thema gesagt haben. Rollentheorie beschreibt einerseits die Rollenerwartungen von außen und andererseits, welche Handlungsfreiräume in einer Rolle offenstehen. Dabei sind abstrakte Wertvorstellungen und Ideale wichtig; Rollen müssen über einen langen Zeitraum hin erlernt, verinnerlicht, modifiziert und schließlich in Einklang mit den eigenen Idealen gebracht werden. Im Beruf sind es operationelle Rollen, die aufgrund von Fähigkeiten verteilt werden. In der Familie und Beziehung hingegen führen vor allem zwischenmenschliche Erwartungen zu der Verteilung der Rollen. Aus dem Zusammenspiel von Arbeit, Familie und Freizeit bilden sich so spezifische soziale Strukturen, die Konflikten standhalten müssen und genügend individuellen Spielraum einräumen.
Rollen sind allgemein gesellschaftliche Konzepte, die es uns ermöglichen, Verantwortung aufzuteilen. Die Rolle entlastet uns, weil wir in ihrem Dienst auch Dinge tun können, die wir selbst nicht verantworten würden. Sie entlässt uns aus einer ethischen Bürde, die für den einzelnen zu schwer werden könnte. Als Arzt muss ich Leben retten, aber vielleicht auch andere sterben lassen, obwohl ich als zivile Person eine andere Priorisierung vornehmen würde. Als Müllmann würde ich manchen Menschen ihren Dreck am besten wieder vor der Haustür abladen. Doch die Rolle erhebt uns von der Notwendigkeit, ständig in Gewissenskonflikte zu kommen. Ich schütte einfach die ungespülten Joghurtbecher im Restmüll zusammen mit den ungetrennten Gartenabfällen in den Müllwagen, weil es nicht Teil der Rolle ist, das zu korrigieren, was in der Selbstverantwortung der anderen liegt. Anders könnte diese und andere Arbeit gar nicht entspannt erledigt werden. Und so funktioniert die gesamte Gesellschaft. Rollen entlasten uns vom Druck des Normativen, so dass wir uns nicht ständig Gedanken darum machen müssen, was richtig und falsch ist.
Andererseits führen Rollen aber auch dazu, dass man sich manchmal zu stark mit ihnen identifiziert. Wir halten uns für die Rolle und setzen uns durch die damit verliehene Macht über andere hinweg. Ein demokratisch gewählter Präsident sieht sich nicht mehr als Repräsentanten des Volkes, sondern als lebenslanger Herrscher. Ein Techniknerd kauft sich in ein Medienimperium ein, um die Meinung für seine Produkte zu beeinflussen. Oder eine Frauenrechtlerin macht in Aktien von Waffenunternehmen und versteckt die Gewinne in Steueroasen. Wie mit allem im Leben gibt es Licht und Schatten im Rollenverhalten. Die Bereitstellung von Rollen kann Segen und Fluch für jede Gesellschaft sein und ein Zuviel die Freiheitsgrade unnötig einschränken. Andererseits kann ein Zuwenig Anarchie befördern und einen Verfall der Sitten nach sich ziehen. Seit es Zivilisationen gibt, besteht ein Interesse daran, über den Aufbau der Gesellschaft etwas zu erfahren und möglichst gute Beschreibungen zu finden, wie Menschen miteinander interagieren, was sie für Persönlichkeitsstrukturen entwickeln und wie sie Konflikte am besten lösen.
Die Astrologie spielte dabei von Anfang an eine eigene Rolle. Sie war selten Teil des Establishments, aber sie verschwand auch nie ganz aus einer Kultur. Vielleicht hat sie deswegen so lange überdauert, weil sie sich nicht abhängig von Moden gemacht hat, sondern auf wissenschaftliche Art versucht hat, objektive Analysen des Zeitgeschehens abzuliefern. Die von uns ‚verehrten‘ Planeten sind nur Stellvertreter von typischen Rollenverhalten, die wir mithilfe verschiedener Methoden in Soziologie wie Astrologie möglichste werturteilsfrei in der Welt beobachten. Chiron steht vereinfacht gesagt für den Arzt, Mars für den Manager und Jupiter für den Politiker. Mit einem Neptun ist es ein besonders einfühlsamer Arzt, mit dem Pluto ein besonders machthungriger Manager und mit dem Merkur ein besonders wissbegieriger Politiker, der mit dem Manager dann in die Quere kommt, wenn Pluto einen schwierigen Aspekt zu Merkur bildet. Es geht um allgemeine Zusammenhänge von sozialen Situationen und ihre Verbindung historischen Kontexten, die den Konstellationen der Planeten entsprechen, ohne dass dabei ein direkter kausaler Wirkungszusammenhang bestehen muss. Es geht vielmehr um die symbolische Ebene, die durch die Astrologie zurückwirkt auf die Gesellschaft und das Verhalten des Menschen.