Sieben Prämissen

Eine spezielle Version der Systemtheorie ist die Soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann, die eigentlich ein eigenes lebenslanges Studium erfordert und in die ich selbst leider nicht tief genug eingedrungen bin. Ich habe aber den Verdacht, dass es einer zukünftigen Astrologischen Soziologie nützlich ist, zumindest mit den Grundlagen der Luhmann’schen Systemtheorie vertraut zu sein. Ich stelle sieben Prämissen heraus, die mir in Bezug auf Astrologie wesentlich erscheinen. Sicherlich gibt es aber auch noch ganz andere Gesichtspunkte, die hier zu nennen wären und die auch noch viel tiefgreifender differenziert werden müssten. Aber man kann nicht alles auf einmal machen und so bleibt noch vieles leider Stückwerk und Andeutung.

Von welcher Ordnung und von welcher Zeit sprechen wir, wenn wir in der Astrologie den Fortlauf der Sterne deuten? Wenn ein Historiker biographische Daten einordnet? Oder wenn ein Mensch einem anderen Menschen in einem therapeutischen Gespräch sein vermeintliches ‚Entwicklungspotential‘ aufzeigt? Ich denke, es ist klar, dass die Beschreibung der ‘sozialen’ Zeit abhängig von dem Standpunkt des Interpreten ist und damit auch die Frage nach der ‚richtigen’ Zeit. Was wir als zeitlich geordnete Wirklichkeit begreifen, ist von unseren persönlichen Erfahrungen und Erwartungen abhängig. Daher braucht es eine Theorie, die die das gleichzeitige Konstruieren der Wirklichkeit mit ihrer Beobachtung und Beurteilung mit einbezieht. Diese ist mit Niklas Luhmanns Soziologischer Systemtheorie gegeben. Sie ist ein universelles Modell für die oft paradoxen Interaktionen im sozialen Rahmen und es ist Luhmanns besonderes Verdienst, die zunehmenden Differenzierungen der bürgerlichen Systeme seit dem Mittelalter und ihre spezifische Sprache ausführlich besprochen zu haben, ohne sich in den jeweiligen ideologischen Hintergründen zu verfangen. Es wird seitdem weniger danach geurteilt, was ein Begriff für die Jeweilige (ideologisch geprägte) Schulrichtung bedeutet, sondern wie er vor dem Rahmen funktioniert, in den er historisch gesetzt worden ist.[1] 

Die Soziologische Systemtheorie geht zunächst von verschiedenen Prämissen aus, die dem ‘gesunden’ Verstand zunächst unsinnig erscheinen. Doch ist ihr Ansatz für die Aussagen der Astrologie wie geschaffen; Aussagen, die für manchen fragwürdig erscheinen, weil sie keine allgemein anerkannte Grundlage besitzen. Warum soll ein Löwe mutiger sein als eine Jungfrau? Was hat das Datum der Geburt mit unserem Werdegang zu tun? Wie kann man von dem Lauf von Planeten auf die Zukunft eines Menschen schließen? Die knappe Antwort darauf ist: Weil wir uns anhand von sinnbehafteten Symbolen organisieren und in der Sprache nach Ordnungen suchen, die uns Möglichkeiten für sinnhafte Handlungsvariationen aufzeigen. Sinn ist für Luhmann die Differenz von Aktualisierung und Möglichkeit. Wir müssen in sozialem Miteinander immer wieder neue Deutungen kreieren, um den sich wandelnden Bedingungen gerecht zu werden. Jede Beobachtung ist eine Selektion zwischen Möglichkeiten und zieht die Notwendigkeit der Aktualisierung der Wahrnehmung nach sich.  Bewusstsein ist mit Husserl, dem Luhmann hierin folgt, immer Bewusstsein von etwas, es richtet sich auf ein potentielles Ziel, das es zu erreichen gilt.

I Es gibt keinen Unsinn

In diesem ‘Sinne’ gibt es keinen Unsinn. Dies ist die erste Prämisse, die ich aus Luhmanns Arbeit erwähnen möchte, und die sich schon in seiner frühen Auseinandersetzung mit Habermas der frühen 70er Jahre findet. Jede Deutung, jede Begrifflichkeit zieht weitere Unterscheidungen nach sich, die Anschlusskommunikationen schaffen usw. Sinn ist alles Beliebiges, was Anschluss ermöglicht. Dieser Sinnbegriff läuft unserem herkömmlichen Denken zuwider, nachdem Sinn etwas Besonderes ist, das durch eine außergewöhnliche Leistung entsteht und eine besondere Bedeutung besitzt. In der astrologischen Beratung merken wir, dass jede Aussage auf irgendeine Weise treffend ist. Es gibt keine ‘falschen’ Deutungen. Sogar wenn wir das falsche Horoskop vor uns liegen haben, kann eine Beratung ‘Sinn’ ergeben. Das hat jeder Berater schon einmal erlebt, genauso wie ein Psychologe die falsche Mappe eines Klienten vor sich liegen hatte, und doch eine gelungene Interaktion herstellen konnte – oder sogar gerade deshalb, weil er seine üblichen Denkschemata verlassen musste.

Man nennt das den Barnumeffekt, wenn Menschen sich mit allgemeinen Aussagesätzen identifizieren können. Er bezeichnet die Neigung von Menschen, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren. Trotzdem ist es natürlich unbefriedigend, dass die so um Exaktheit bemühte Astrologie zunächst nur zu so allgemeinen Aussagen kommen kann. Wie ist es aber möglich, dass trotz der Allgemeinheit der astrologischen Aussagen ein Eindruck von Evidenz entsteht? Die Antwort liegt in dem ‘Zwischenzustand’ der menschlichen Existenz inmitten von allgemeinen sozialen und persönlichen psychischen Bewusstseinssystemen. Wenn ein Astrologe uns erzählt, dass wir als Kind ein Träumer waren, dass wir uns leicht für Dinge begeistern können und gerne auch mal im Mittelpunkt stehen, dann trifft das sicherlich für viele Leute zu.[2] Doch wenn man den dazugehörigen Menschen erlebt, dann gewinnen die Worte noch einmal eine ganz andere Bedeutung.[3]

Gauquelin, der sich gegen verallgemeinerte Astrologieaussagen wandte, schickte 1968 an 150 Personen ein angeblich persönliches Horoskop, um den Barnumeffekt aufzuzeigen. Es handelte sich um ein und dieselbe Deutung des Horoskops eines Serienmörders, die der Astrologe André Barbault aufgrund der Geburtsdaten von Marcel Petiot erstellt hatte (dessen Schicksal ihm unbekannt war). 90% der Befragten identifizierten sich mit den Aussagen dieses schriftlichen Horoskops. Es liegt auf der Hand, dass eine mündliche Beratung etwas völlig anderes ist, als ein schriftliches Horoskop, das womöglich noch automatisch durch Datenbanken erzeugt wurde. Trotzdem ist es enttäuschend, dass die von Astrologen verwandten Begrifflichkeiten ohne ‚Interpreten‘ so schlecht funktionieren.

Das heißt aber nicht, dass es beliebig ist, welches Horoskop wir vorliegen haben. Vielleicht muss das auch so sein, dass unsere Bedeutung erst aus der Interpretation unserer Mitmenschen entsteht. Wie es ja auch Paul Watzlawick postuliert hat. Jeder hört für ihn in denselben grammatischen Sätzen unterschiedliche Aussagen. Der Sinn des Gesagten aber entsteht erst beim Zuhörer. Erst indem der Therapeut, Berater oder Astrologe speziell auf die ihm auffallenden Widersprüchlichkeiten eingeht, kann eine individuelle Wahrnehmung hervorgerufen werden. Der Astrologe spürt an feinen Reaktionen des Klienten, wo er auf Resonanzen stößt und wo nicht. Wenn man aus dem falschen Horoskop des Serienmörders eine Beratung abgeleitet hätte, wäre man ganz schnell zu individuellen Bewertungen gekommen. Dann wer deutlich geworden, dass sich viele Menschen mit einigen Aspekten gar nicht hätten identifizieren können und irgendwann vielleicht aufgefallen wäre, dass es das falsche Horoskop ist. Das ist mir selbst auch schon passiert. 

Der Astrologe erspürt an bestimmten Reaktionen des Klienten, wenn eine seiner Aussagen passend oder unpassend ist und lenkt das Gespräch entsprechend in die ihm genehme Richtung, wobei weder ihm noch dem Klienten ins Bewusstsein kommen muss, warum bestimmte Reize bestimme Reaktionen hervorrufen.  Das kann man sich an einer Geschichte über das Pferd Hans deutlich machen. In den zwanziger Jahren gab es einen Zirkuskünstler, dessen Pferd anscheinend zählen gelernt hatte. Die Zuschauer riefen eine Zahl und das Pferd stampfte zu ihrer Begeisterung genauso so viele Male mit den Hufen auf. Erst durch ausführliche Untersuchungen mit Zeitlupenkameras kam man dahinter, dass das Pferd winzige Signale seines Trainers, wie etwa Augenbewegungen oder Hüftkreisen erkannte.[4] Es ging sogar so weit, dass das Pferd auch bei Fremden ‚zählen‘ konnte, weil es die Bewegungsmuster menschlicher Psyche zu deuten wusste, was viel über die Wahrnehmungsfähigkeit von Pferden aussagt. Und so kann auch ein geschulter Psychologe oder Astrologe anhand der Reaktionen seiner Klienten die Wirkung seiner Worte beobachten und Effekte erzeugen.

Allerdings geht dies nur zum Preis der Freiheit. Denn je größer die Wirkung, desto größer auch der Effekt der Übertragung, der in jeder Beratung problematisch werden kann. Es ist nicht nur eine ethische Frage, das vermeintliche Schicksal nicht aus dem Horoskop ablesen zu wollen, sondern auch für den dauerhaften Erfolg einer Beratung ratsamer, sich mit übermäßigem Einsatz von tränenrührenden ‚Treffern‘ zurückzuhalten. Man kann diese universelle symbolischer Ebene, auf der astrologische Aussagen operieren, nutzen, um tiefste unbewusste Prozesse in Gang zu setzen Aber man kann sich auch in das Unterbewusstsein eines anderen Menschen schleichen, um ihm zu imponieren oder das Geld aus der Tasche zu locken. Es gibt keine Kausalitäten zwischen Horoskop und Lebensereignissen. Was es aber gibt, sind zwischenmenschliche Sinnebenen und das Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit und Respekt. Wenn das Problem, dem Schicksal ein Schnippchen schlagen zu wollen, auf seriöse Weise selbst zum Beratungsgegenstand gemacht wird, indem immer wieder deutlich gemacht wird, dass der Berater nichts wissen kann, was der Klient nicht auch schon weiß, kann eine gemeinsame Sinnebene über das Thema Eigenverantwortung entstehen und die Problematik von Übertragungsmustern und Wunschdenken immer gleich mit thematisiert werden. Problematiken, die vielleicht in anderen Beratungsarten nicht so leicht auflösbar wären, weil es um das Verstehen und das Erkennen selbst geht.

Für das Wort Sinn kann auch der Begriff Information gebraucht werden. Information ist nach Bateson ein Unterschied im System, der in nachfolgenden Operationen einen Unterschied macht. Das System baut seine Wahrnehmung aufgrund der von ihm getroffenen Unterscheidungen auf. Ausgangspunkt sind seine binären Codierungen, nach denen es selektiert, was für es nützliche Information ist und es gleichzeitig bezeichnet. Durch den Schritt in die unbekannte Außenwelt wird eine vom System vorgegebene Differenz sichtbar, deren beide Seiten nicht gleichzeitig bezeichnet werden können. Entweder etwas ist böse oder gut, wahr oder falsch, notwendig oder zufällig. Die gewählte Form der Bezeichnung markiert eine Grenze, solange die eine Seite Aufmerksamkeit auf sich zieht, bleibt die andere unbeobachtet. Die so konstruierte Realität (das wirkliche Ereignis ist als solches vorbei) wird als Unterscheidung im System noch einmal vollzogen durch den Re-Entry, wie Luhmann es nach Spencer Brown bezeichnete.

Beziehung zur Umwelt ist nur durch diese Unterscheidung aufgrund der erfolgten Beobachtung möglich. Sie ist blind für sich selbst, weil die ihr zugrundeliegende Unterscheidung selbst nicht gleichzeitig beobachtet werden kann. Erst wenn die Unterscheidung im System selbst ein 2. Mal beobachtet wird und das System sich als Handelnder gegenüber seiner Außenwelt erlebt, wird die getroffene Unterscheidung sichtbar und verhandelbar.[5] Durch den Aufbau eigener Unterscheidungen erzeugt das System für sich komplexe Strukturen, mit denen es gewappnet ist für plötzliche und spontane Änderungen der emergierenden, stets sich verändernden sozialen Ordnung. „Hohe Eigenkomplexität bedeutet demnach Zulassung von Alternativen, Variationsmöglichkeiten, Dissens und Konflikten im System. Dazu muss die Systemstruktur in gewissen Grenzen unbestimmt, widerspruchsreich und änderbar institutionalisiert sein. Sie muss gegen die natürliche Tendenz zur Sinnverdichtung und zur Beseitigung aller Ungewissheiten künstlich offengehalten werden und unterspezifiziert bleiben“.[6] Systeme sind also nichts feststehendes, an denen sich menschliches Verhalten ‘abarbeitet’, sondern etwas Wandelbares, in denen Menschsein überhaupt erst entsteht.

II Systeme kommunizieren

Damit sind wir bei der zweiten Prämisse soziologischer Systemtheorie. Nicht der Mensch kommuniziert, sondern die von ihm geschaffenen sozialen Systeme. Das erscheint nun völlig absurd. Denn die Aufklärung, mit der auch die soziologische und psychologische Wissenschaft entstand, geht von der Wahrhaftigkeit des Subjekts aus und dessen Möglichkeit zur Freiheit. Es erscheint als ein Rückschritt, die Errungenschaft des Individuums, das Jahrtausende lang durch kirchliche und weltliche Herrscher geknechtet wurde, aufzugeben. Wenn Menschen nicht ‘Herr ihrer Kommunikation’ sind, können sie kaum empfänglich für Aufklärung sein. Doch die Betrachtung von Seiten des Systems aus ist nur ein Perspektivwechsel, der wirkliche Autonomie überhaupt erst möglich macht. Luhmann geht von der getrennten Existenz sowohl psychischer als auch sozialer Systeme aus, zwischen denen der Mensch als seltsamer Swidder erscheint; ein Konglomerat von körperlichen Systemen und Bewusstseinssystemen, die miteinander in Wechselwirkung stehen und selbstorganisierte Sinnstrukturen hervorbringen.

Menschen sind in diesem Sinn die Träger eines Bewusstseins, dass sich selbst organisiert. Ihre Entscheidungen sind immer von der Situation ihrer Umwelt abhängig. Ein noch so gut gestellter Mars kann keine Impulse setzen, wenn er nicht auf eine Umgebung trifft, die diese willig aufnimmt. Ohne den Aktionsradius eines Menschen zu kennen, ist es unmöglich, seine ‚Marskraft‘ effizient zu deuten, auch wenn er uns im Horoskop geradezu ins Auge zu springen scheint. Auch der stärkste Marsianer ist nichts, wenn er im Knast sitzt wie Boris Becker. Je höher ein Bewusstsein entwickelt ist, desto feiner sind die Nuancen, mit denen es sich zum Ausdruck bringt und das Schicksal, das ihm die Umwelt ermöglicht, erfüllt. Es braucht lange, bis man aus einem Horoskop heraus diese Feinheiten erkennen kann.

Auch die sozialen Systeme organisieren sich selbst und bedienen sich des Menschen. Zwischen ihnen und den psychischen Systemen besteht kein kausaler Zusammenhang. Beide konstruieren ihre Umwelt durch selbst gesetzte Grenzen, in denen der andere nicht vorkommt. Der Mensch ist für den anderen Menschen Umwelt und nicht System. Damit kann auch kein Mensch mit dem anderen in direkter Weise ‘kommunizieren’. Er ist gefangen in der ‘doppelten Kontingenz’, wie Luhmann es sagt, der beidseitigen Beliebigkeit der Erwartungen. Wir können hören, was der andere sagt, aber wir können nicht wissen, was er dabei denkt und wie er es meint. Sein Bewusstsein bleibt für uns eine Black Box, ein verschlossener Apparat, in dem man den Input und den Output beobachten kann, aber nicht die internen Operationen. Um den anderen zu verstehen, müssen wir uns auf ein Spiel von symbolischen Kommunikationen einlassen, innerhalb derer wir bereit sind, etwas von uns mitzuteilen und etwas Neues entstehen zu lassen. 

„Beobachtung ist immer eine Konstruktion des Systems, genauer: eine operativ hergestellte Konstruktion des Systems. Im Falle von sozialen Systemen handelt es sich bei den systeminternen Operationen um Kommunikationen. Ein Kommunikationssystem kann als operativ-geschlossenes System nicht mit seiner Umwelt kommunizieren, aber es kann seine Umwelt beobachten, indem es über seine Umwelt kommuniziert. Eine Kommunikation beobachtet mithin das, wovon sie handelt; dass was sie themastierst, dass worüber sie informiert. (…) Auf diese Weise gelingt es sozialen Systemen, durch ihre selbstreferentielle Geschlossenheit Offenheit zu erzeugen.“[7]

Auch diese Vorstellung widerspricht unserer gewohnten Auffassung. Wir fühlen uns mit anderen Menschen durch stimmige Kommunikation verbunden, doch erst der Widerspruch gibt die Möglichkeit zur Einheit. Diese kann für Luhmann im Sinne des radikalen Konstruktivismus nur dadurch entstehen, dass es keine direkte Verbindung zwischen Menschen und anderen Systemen gibt und Paradoxien vorprogrammiert sind. Die Verbindung entsteht durch jeweilige spontane strukturelle Kopplung, die die Lücken des Nichtwissens schließt und ein gemeinsames Feld des Verstehens aufbaut. Man muss sich jedes Mal neu anstrengen, um miteinander in Gleichklang zu kommen. Niemand hat eine direkte Leitung zu Gott. Wer Astrologie etwa zehn Jahre lang geübt hat, der weiß, welchen Weg er hinter sich hat, um mit einem anderen Astrologen auch nur einigermaßen einverständig über die Bedeutung des Mars im 1. Haus zu sprechen.

Psychische und soziale Systeme stimmen ihre Funktionen über ständigen Austausch der Voraussetzungen aufeinander ab und in diesem Prozess der Aktualisierung entsteht Identität quasi als Nebenprodukt selbstbezüglicher Konstruktion. Die Astrologie ist mit ihren vielen Bauteilen ein noch einmal extra umständlicher Weg, diese Identität kommunikativ herzustellen. Sie hält dann aber auch ein bisschen, was vor allem für solche Menschen von Wert ist, deren kognitive Funktionen in der Gesellschaft aus welchem Grund auch immer eingeschränkt sind. Wenn jeder individuelle Mensch unverrückbarer Teil der Kommunikationen von Systemen wäre, müsste ein Einzelner keine eigenständige Identität ausbilden. Doch die Zivilisationsprozesse haben zu einer starken Spezialisierung geführt und es gibt keine Garantie für den Menschen automatisch als Teil der Herde betrachtet zu werden. Er ist aufgerufen, durch Individualisierung Anschluss herzustellen. Seine psychischen Funktionen hingegen mehr so eng an die Bedingungen der Umwelt gekoppelt wie beim Frühmenschen oder etwa dem Tier. Das hat den Vorteil der Gewinnung von Zeit, in der er an seiner Identität basteln kann. Doch gibt es damit auch keine selbstverständliche Aufgabe, die er einfach erfüllen kann. Er muss lernen, an den Kommunikationen der unterschiedlichsten Systeme teilzunehmen und so zu hoffen, irgendwo gebraucht zu werden und sich eine symbolische Existenz aufbauen zu können.

Das Horoskop ist ein gutes Beispiel dieser Prämisse. Denn auch in ihm kommunizieren die Symbole quasi untereinander, ohne dass dazu ein ‘Individuum’ erscheinen müsste. Der Mars macht sein Actionding, der Jupiter sein Visionssucheding, die Venus ihre Beziehungsspielchen und der Neptun seine Auflösungsübungen. Sie scheren sich nicht umeinander. Erst durch die Beobachtung des Horoskops von außen als Ganzes entsteht die Illusion einer Einheit. Streng genommen untersuchen wir in der Astrologie deshalb nie singuläre Aspekte und Zeichen- und Häuserbesetzung, sondern vielmehr die Wechselwirkungen zwischen mindestens zwei Partnern. Wie korrespondiert ein Widdermars mit einer Skorpionvenus? Was macht eine Dritthausbetonung mit einer Achthausbesetzung? Ist ein Quadrat geeigneter als ein Trigon und das Element Feuer mehr als Wasser? Immer geht es um Differenzen eines an sich unteilbaren Bildes.

Astrologische Werke, die Deutungen behandeln, werden im Slang auch ‘Kochbücher’ genannt.[8] Der Begriff trifft den Sachverhalt gut, denn es geht darum, wie verschiedene Ingredienzien miteinander reagieren, wenn man sie in Kontakt bringt und weniger um Eigenschaften der einzelnen Zutaten.[9] Das ist wie der Unterschied von Chemie und Kochkunst. Den Koch interessiert nicht, wie die chemische Beschaffenheit der Stoffe ist, aus denen er ein leckeres Mahl zubereitet. Ja, ein Zuviel des Nachdenkens darüber würde ihn sogar daran hindern, aus der Intuition und langen Erfahrung der Mischung der Ingredienzien heraus das Menu zu bereiten. Gerade dadurch, dass die Deutungsverknüpfungen wage und abstrakt gehalten sind, ist individuelle Identifikation mit ihren Aussagen möglich. Wenn man zu lange darüber nachdenken muss, was eine Venus in Skorpion überhaupt zu bedeuten hat, hat man schon den Zug verpasst, der zu einer Deutungskombination mit dem Widdermars fährt. Uns so ist das auch im ‚richtigen Leben‘. Wenn man erst darüber nachdenken muss, was man mit einem anderen Menschen eigentlich gemeinsam hat, dann wird die Kommunikation nicht besonders erbaulich werden. Wenn wir es nicht schaffen, unsere gemeinsamen Systeme und Interessengebiet ‚wie von selbst‘ zum Quatschen zu bringen, dann wird der Dialog anstrengend und unerquicklich bleiben.

Wieso wiederholen Astrologen seit Jahrtausenden fast auch wortgleiche Weise, was eigentlich ziemlich banal ist. Die Antwort ist: Weil unser Bewusstsein auf ähnliche Weise arbeitet, sich durch einen hohen Gehalt von unterschiedlichsten Bedeutungen der Symbole viele Lösungswege offen zu halten. Wenn wir z.B. mit Saturn/Uranus die Unterscheidung zwischen regelkonform und erneuernd treffen, dann können wir immer nur eine Seite des Sachverhalts beobachten (konstruieren) und wir können im selben Moment der Unterscheidung nicht sehen, was wir unterscheiden. Wenn wir uns entscheiden, etwas ‘Neues’ zu bezeichnen und es mit uranischen Begriffen zu unterlegen, dann schließt sich die gleichzeitige Betrachtung der Eigenschaften, die für Saturn stehen, aus.

Das ‘Neue’ ist aber in dem Moment schon veraltet, in dem es erscheint. Wie schnell für ein System etwas veraltet ist, entscheidet es allein aus seinen Maßgaben. Die Vorstellungen über Saturn und Uranus, respektive der Vorstellungen über das was neu oder veraltet ist, werden mit der Situation jedes Mal neu konstruiert und mit den Vorstellungen der anderen Systeme über ihren Saturn und Uranus aktualisiert werden muss. Dies geschieht polykontextural in Beobachtungen 2. Ordnung über sich selbst, die weiter an die eigenen Unterscheidungen gebunden bleibt und wiederum einen blinden Fleck hat. Auf der Suche nach Neuem werden wir nie unser eigenes ‘Veraltetsein’ wahrnehmen können. Wir werden so auch nie den ‘wahren Uranus’ zu greifen bekommen, wie Plato in seinen Ideen oder Goethe ihn in seinen ‚Ur-Dingen‘ zu suchen trachtete. Aber wir werden uns selbst im Zuge der Bedeutungsfindung immer besser in der Bereitschaft für ‘Neues’ in Bezug auf die Umwelt kennenlernen.[10]

III Reduzierung von Komplexität

Indem der Mensch aus dem unmittelbaren Jetzt der Instinktwelt herausgetreten ist, wie im letzten Kapitel beschrieben, hat er mit der Zeit eine unüberschaubare Welt gesellschaftlicher Zusammenhänge erschaffen, die wir von klein auf erlernen müssen. Die daraus entstehenden Institutionen entlasten uns von schwierigen Entscheidungsfindungen, die wir sonst selbst treffen müssten. Damit sind wir bei der dritten Prämisse von Luhmanns Gesellschaftstheorie. Der Mensch ist ständig bestrebt, Komplexität zu reduzieren und zu einfachen Strukturen zu finden. Sie erleichtern ihm das Zusammenleben und reduzieren die Notwendigkeit, in jeder Situation neu die Bedingungen auszuhandeln. Kulturelle Eigenheiten sind vielfältig und es brauchte eine Art ‘Vorsortierung’, um das Zusammenleben zu bewältigen.

Astrologische Kategorien waren anscheinend sehr früh in der Menschheitsgeschichte geeignet, um psychischen und gesellschaftliche Funktionen zu beschreiben und miteinander in Verbindung zu bringen. Jedenfalls finden wir in so gut wie jeder Kultur Vorgänger einer Kosmologie, die sich an die ‚Sprache der Sterne‘ anlehnte. Die jeweiligen Symbole waren sowohl auf der Persönlichkeitsebene anwendbar, als auch für die sozialen Bezugssysteme, an denen der Mensch teilnahm. Ein Mars steht damals wie heute beispielsweise für den Antriebsüberschuss im Körper eines einzelnen Menschen, aber auch für die Systeme der Gesellschaft, die mit Aggression umgehen, wie Sportvereine, Managementkurse oder das Militär. Diese Institutionen geben uns die Möglichkeit unsere Antriebsüberschüsse loszuwerden. Wir brauchen uns nicht mehr ständig darum zu bemühen, wie wir unsere überschüssigen Energien loswerden kann. Ähnlich können wir über Institutionen des Rechts (Pluto) andere unsere Konflikte lösen lassen, über politische Einheiten (Jupiter) und Verwaltung (Saturn) gesellschaftliche Aufgaben delegieren, die für uns zu umfangreich sind, über die Kunst (Venus) Schönes schaffen lassen, das uns inspiriert und über die Religion ein Gemeinschaftsgefühl herstellen, das sonst nur unter viel Aufwand zu bewerkstelligen wäre, wenn wir es allein in jedem Moment erstmal herstellen müssten. Für den Preis der Einordnung unter diese Strukturen erhält der Mensch Entlastung. Auch die Wissenschaft dient seiner Gemütsruhe, da er mit ihrer Hilfe untersuchen lässt, welche paradigmatischen Grundsätze der Wirklichkeit am nächsten kommen und welche nicht. Natürlich kann er sich auch darauf nicht immer verlassen. Aber immerhin dient dieses System Wissenschaft, das wir dem Prinzip der Jungfrau unterordnen dazu, dazu, auf dem jeweils neuesten Stand zu sein und die Fakten des Diskurses zu kennen. Auch in der Astrologie haben wir ein solches Instrument. In den Foren von astro.com diskutieren z.B. über 10.000 Astrologen weltweit über Deutungsregeln, Methoden, Historie, moderne Entwicklungen, Bewertung aktueller Ereignisse, Analyse von bekannten Persönlichkeiten und hunderte andere Dinge bis hin zu der Frage, ob mein Hund am Abend wiederkommt oder nicht. Würden manche von uns sich der Grundlagen unseres Faches nicht regelmäßig vergewissern, müssten alle immer wieder jeden Tag von vorne anfangen. Die Reduktion oder Komplexität hat allerdings den Preis, alle diejenigen vom Diskurs auszuschließen, deren Gedanken nicht gerade aktualisierbar sind und sich an das Format anpassen, das für die Bewertung sorgt, ob eine Information hilfreich ist oder nicht.

IV Emergenz

Jedem Planeten entspricht eine spezifische Funktion, die in beiden Systemen, den psychischen und den sozialen, auftreten und verkoppelt werden müssen. Identität entsteht in dem Dazwischen der Kommunikation, in der Selbstfindung des Menschen als Zwischenzustand von autopoietischen Systemen, deren Operationen auch ohne ein bewusstes Zutun ablaufen. Das ist die vierte Prämisse der Systemtheorie. Soziale und psychische Systeme erhalten sich selbst. Sie erzeugen die für sie notwendigen Funktionen aus sich selbst heraus und damit das, was Systemtheoretiker Emergenz nennen. Es entstehen immer wieder neue Eigenschaften quasi ‘aus dem Nichts’, ohne das zu beobachten wäre, wie dies geschehen würde. Gesellschaftliche und psychische Systeme schaffen immer neue Ordnungen und rufen uns so zu ständiger Aktualisierung auf.

Auch diese Vorstellung läuft dem Verstand zuwider. Eine Wirkung muss für uns auch eine Ursache haben, es kann nichts aus dem Nichts entstehen. Das tut es auch nicht. Doch nur das System selbst ‘weiß’, was es ‚wirklich‘ tut. Es ist nicht möglich, in ein solches System hineinzuschauen, ohne es zu manipulieren. Wir können ein komplexes System wie etwa das des Rechts nicht vollständig objektiv betrachten. Und das System selbst kann sich schon gar nicht sehen, ohne unverzeihliche Irrtümer zu begehen. Weil die unabhängige Instanz fehlt, die unsere Urteile korrigiert. Und damit können wir auch nicht in die Zukunft von Systemen schauen.[11] Zumindest nicht in streng kausaler Weise. Wie sich das Rechtssystem eines Staats, hängt von emergenten Prozessen und plötzlichen Entwicklungssprüngen ab. Genauso wie die Leber und das Herz eines Menschen. Sie sind Organe eines größeren Systems, dessen Wechselwirkungen sie beeinflussen und von denen sie beeinflusst werden, ohne dass dabei ihr Einheit zerstört wird. Warum das nicht passiert, ist ein Mysterium. Wir können nach Mustern Ausschau halten und wage Voraussage-Modelle aufgrund von Erfahrungen bilden. Doch können wir nicht vorhersagen, wie sich Organe des Körpers, Systeme wie unser Bewusstsein, die Gesellschaft oder eine Gruppe weiterentwickeln.

Jede Persönlichkeit ist in einer Black Box gefangen, die der eigenen Wahrnehmung unzugänglich ist. Wir können allerdings aufgrund von Beobachtungen 2. Ordnung wissen, dass wir etwas nicht wissen und systematisch durch Vergleiche nach höheren Ordnungen Ausschau halten, die uns Antworten liefern. Genau das ist auch die Haupttätigkeit des Astrologen. Ständig wechselt er die Bezugssysteme, Methoden, Perspektiven und Bezeichnungen. Er kommt dabei der Frage, was der ‚wirkliche Mars‘ ist, nicht wirklich näher. Seine Bedeutung entsteht in dem Prozess der Beobachtung auf nicht weiter erklärbare Weise. Manchmal gibt es dabei Sprünge, die ein neues Bild erzeugen, aber zumeist bewegen wir uns im Rahmen der bekannten Ordnungen. Wir hoffen in jeder Beratung auf emergente Sprünge und neue Bedeutungen, und schaffen dies auch meist. Aber garantieren können wir nicht, dass sich ein Bedeutungswandel vollzieht. Genau diesen aber macht der Effekt einer guten Beratung aus. Indem wir die abgetretenen Pfade verlassen und uns für andere Betrachtungsweisen öffnen, entstehen neue Verknüpfungen im Gehirn, und ungute Verhaltensmuster können überwunden werden. 

Doch leicht verlieren wir uns dabei auch im Dschungel der Pfade. Es können sich verschiedene Wirklichkeitsebenen vermischen, ein Pfad plötzlich im Nichts enden oder aus der Zeit rutschen. Im systemischen Sinn gibt es keine kausal ablaufende Zeit, sondern nur in sich verschachtelte Zeitschleifen. Astrologisch kennen wir das von den Konstellationen, die eine bestimmte Zeitperiode prägen, die ineinanderwirken und sich mal berühren, mal nicht. Manchmal gelingt es uns, eine schlagkräftige Formulierung zu finden, die den Zeitgeist repräsentiert. Meistens aber folgen wir den ausgetretenen Pfaden, die dann wieder große Straßen bahnen, die am Ende wieder zugeschüttet werden müssen, wenn ihr Nutzen versiegt. Ein eleganter Schleichweg ist die Ausnahme und die Kunst der Deutung.

Eine Deduktion aus Anfangsgründen ist selten, wie sie in der Natur-Wissenschaft erfolgt. Denn dort beruht sie außer in Teilen der Quantentheorie auf einigermaßen unveränderlichen Naturgesetzen, die auf einer klar bestimmten Abgrenzung vom Subjekt des Beobachters und Objektiven Ergebnissen beruhen.[12] In den Sozialwissenschaften aber ist Kausalität nur eine Hinzufügung von Attributionen einer künstlichen Subjekt/Objekt-Trennung, die zum Zwecke der Untersuchung eines Gegenstands geschaffen wurde. Wenn wir etwa alle dunkelhäutigen Menschen in einem Milieu untersuchen wollen, brauchen wir eine Definition dieser Dunkelhäutigkeit und sollten diese so schnell wie möglich vergessen, wenn wir die Untersuchung abgeschlossen haben. Und wenn wir in der Astrologie eine Definition für Populismus gefunden haben und meinen, diesen in einem bestimmten Aspekt von Pluto oder Saturn oder einer Besetzung in den Sternzeichen Krebs und Steinbock gefunden haben, dann sollten wir außerhalb unserer Untersuchung über Populismus diesen Gedanken möglichst drei Gehirnschleifen tiefer verschwinden lassen. Es zeichnet ja den typischen Anfänger aus, dass er überall meint, seine Theorie bestätigt zu finden, ohne eine zu haben.

Um ein eindeutiges Ergebnis in einem prinzipiell offenen Prozess herbeizuführen braucht es eine gute Theorie. Für die Feststellung von Populismus im Horoskop sollten wir die neuesten Entwicklungen kennen, sie mit historischen Ereignissen vergleichen können und schlüssig erklären können, warum bestimmte Gruppen unserer Zeit mehr ideologisch argumentieren als andere. Ohne so eine Theorie würde jede Beobachtung von vermeintlichen Anhäufungen von Aspekten oder Häuser- und Zeichenbesetzungen rein beliebig. Die Lösung kann immer nur ein Teil des weiteren Fortlaufs der Untersuchung (von anderen) sein und damit eine von vielen möglichen, weil sie auf einem Ausschluss von Voraussetzungen beruht, die möglicherweise ein anderes Ergebnis hervorgebracht hätten. Die aktuell installierte Lösung ist immer eine Folge von Selektionsleistungen des Systems und seinen Eigenwerten. Systemtheorie geht von der grundsätzlichen Ersetzbarkeit aller Annahmen und Elemente des Systems im Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis aus. Sie benötigt keine absoluten Annahmen, sondern kann Teile von sich selbst immer wieder so ersetzen, dass eine offene Interpretation möglich bleibt.

Astrologische Deutungen machen reihenweise falsche Induktionsschlüsse, gehen von zu simplen Heuristiken aus und nehmen als Kardinalfehler einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Lauf der Sterne und der Wiederholung von Ereignissen an. Doch die Symbolik der Astrologie ist nur ein Hilfsinstrument, um Fragen im Zusammenhang mit dem, was wir als Zukunft sehen, besser zu rekonstruieren. Das Sprachspiel der Astrologie verändert die Sichtweise auf den Menschen in seiner scheinbar ‘schicksalhaften Abhängigkeit’, indem sie ihn zu Schöpfer der Veränderung macht. Aber sie verleitet auch zur Bildung von Hypothesen, die den Sachverhalt eher verwirren als erhellen. Der hypothetische Charakter dieser ‘Kunst’ enthebt sie nicht einer wissenschaftlich objektiven Betrachtungsweise. Im Gegenteil, die Verantwortung, die mit ihren Aussagen verbunden sind, fordert eine Verankerung in einem der Ratio zugänglichen aktuellen, wissenschaftlichen Weltbild. Wir beurteilen letztendlich weniger den Menschen, als sein Umfeld, sein ‘System’ und seine Selbsterzählung in selbigem.[13] Im astrologischen Duktus sind wir auch keine Individuen, sondern der Heimat verhaftete aktionsstarke ‘Marsianer mit Krebseigenschaften’, die ‘unter dem System Saturn/Uranus stehend’ Dinge der Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verbinden suchen und mit einer ‘unaspektierte Lilith in Fische’ einen einsamen Weg der Suche gehen und sich von religiösen Weltbildern emanzipieren müssen.

Derlei Aussagen schaffen plötzliche Anschlussmöglichkeiten nach allen möglichen Seiten hin, in denen auf experimentelle Weise neue Verbindungen zwischen Menschen entstehen. Kommunikationsfelder die u.U. bisher nicht miteinander zu tun hatten und so Perspektivwechsel ermöglichen. Wie dies geschieht, muss im Dunkeln der selbstreproduzierenden Strukturen des Gehirns bleiben. Es gibt weder eine Vorhersage auf die Zukunft, noch einen Abschluss eines vermeintlich zu erfüllenden Schicksals. Dies sind metaphysische Vorstellungen mit persönlichem Bedeutungsgehalt, aber keine Dinge, die helfen, die Realität zu bestimmen. Die Astrologie wirkt auf die, die mit ihr nicht viel Erfahrung haben, als wäre sie ein Instrument der Vorsehung. Doch je mehr man sich mit ihr beschäftigt, desto mehr wird klar, dass sie genau das Gegenteil davon ist. Sie macht dem rational Studierenden die Täuschungen bewusst, die zu der Annahme führen, dass unser Schicksal determiniert ist.[14]  Und den Einfluss von Sprache und Symbolen auf das Denken. 

Astrologie kann man auch als dasjenige System betrachten, das sich des Problems der scheinbaren Determination von Zeitabläufen in psychologischen Systemen angenommen hat. Im systemisch-kybernetischen Sinne machen geschlossene Systeme keine neutrale Voraussage auf ihren weiteren Verlauf möglich. Denn jede Wahrnehmung von außen bedeutet einen Eingriff in das System und damit einen Einfluss auf das zukünftige Geschehen.[15]  Es lassen sich lediglich Wahrscheinlichkeiten angeben, wie ein System auf welchen Eingriff reagieren wird. Der Mensch ist aber angewiesen auf zuverlässige Informationen über seine Zukunft. So kam es, dass er vor Jahrtausenden an den Himmel schaute und in Ruhe und Abgeschiedenheit in dem Abbild der Sterne eine Ähnlichkeit zu seinem eigenen Schicksal fand. Lineare Abläufe des Lebens, periodische Wiederkehr von Ereignissen und auch unregelmäßige Rhythmiken fanden in den Bewegungen der Planeten ihre Entsprechungen.

Unabhängig davon, ob man eine schwache Kausalität zwischen Sternen und menschlichem Leben annimmt, oder ob die Resonanz zufällig und ziellos wie die Entwicklungsvorgänge der Evolution erfolgt, bedeuten die Bilder eine Hilfe im Erkennen des SELBST und des ‘göttlichen Plans’ der Schöpfung. Zwei Dinge, die nur in dem Vorgang des Strukturierens existieren und deshalb immer wieder ‘dekonstruiert’ werden müssen. Verstehen und das Gefühl des Unverstandenseins (im Sinne der gleichzeitigen Konstruktion und Dekonstruktion des Selbst) gehören zusammen, verlaufen parallel in jedem Akt des Erkennens. Der Zweifel ist immer auch ein Hinweis auf ein Verständnis des tieferen Zusammenhangs. Es kann mit Kant kein absolutes Wissen geben ohne die Auflösung des gesamten Konstruktes von Menschen und Gesellschaft. Was übrig bleibt, ist ein kurzer Hauch einer Ahnung und die Hoffnung auf bessere Erklärungen des psychischen und psychischen Daseins.

Das Konzept von Entwicklung, das entscheiden für die Beschreibung von sozialen Phänomenen ist, bringt den Zeitfaktor ins Spiel. Entwicklung findet immer in der Zeit statt. Doch in welcher? Soziale Zeitempfindungen sind immer stark an Rollenerwartungen der Systeme geknüpft, an denen wir teilnehmen. Vor allem aber sind sie mit subjektiven Entwicklungsvorstellungen verbunden und Erwartungen einer besseren Welt. Es macht keinen Sinn, den Charakter eines Menschen als feststehende Tatsache zu beschreiben, wenn dessen Beschreibung nur in der Situation eines bestimmen Kontexts erscheint. Es fällt nicht leicht, sich und den anderen als Teilnehmer dynamischer Systeme zu denken, doch anders würden wir weder dem Menschen noch der Astrologie gerecht werden. Was wir meinen, mit den astrologischen Symbolen zu beobachten, sind Handlungen und Kommunikationen von Menschen innerhalb bestimmter Rahmen, wie Goffman sie nennen würde.

Nennen wir sie Systeme, dann sind sie mit Luhmann gleichzeitig operativ geschlossen und kognitiv offen. Die operative Geschlossenheit ist die Voraussetzung für die Öffnung für andere Weltbilder. Das heißt aber nicht, dass sich das System nicht ändert. Während wir uns selbst dabei beobachten, wie wir beobachten, entgehen uns manchmal wichtige Dinge. Es sind immer nur Annahmen und Modelle über uns und andere System, die wir als Wahrnehmungspunkte setzen, während sich die Wirklichkeit schon verändert hat. Da sie dies aber normalerweise in gemächlicher Geschwindigkeit tut, sind ‚strukturelle Kopplungen’ und das Finden von zeitweiligen Übereinstimmungen.[16] Psychische Systeme erzeugen Gedanken als Ereignisse, die von uns und anderen operativ gehandhabt werden, als wären sie wirkliche Tatsachen. Es kann aber niemand ‚Gedanken lesen’. Ich bin darauf angewiesen, dass das, was mir der andere mitteilt, möglichst nahe der Wahrheit kommt, die er mit mitteilen will. Ein tieferer Dialog ist mit dem Kommunikationsforscher Habermas grundsätzlich unmöglich, wenn den Teilnehmern nicht gleiche Voraussetzungen zur Verfügung stehen und sie davon ausgehen, dass jeder darum bemüht ist, diese jedem anderen verfügbar zu machen. Sobald Täuschungen vorgenommen werden und Machtgefälle ausgenutzt wird, ist kein aufrechter Dialog mehr möglich. Das Bewusstsein verliert die Orientierung und sucht nach einer vermittelnden symbolische Ebene, die die fragwürdigen Gedanken des anderen in eine akzeptable Ordnung bringt. Wir manipulieren uns alle ständig gegenseitig unterbewusst. Je enger eine Beziehung ist, desto mehr Ebenen braucht sie, auf denen Klärung möglich ist. Dabei helfen uns gewohnte Umgebungen mit stabilen Werten und Normen. Soziale Systeme erzeugen gesellschaftliche Strukturen, auf die wir bei Konflikten zurückgreifen können. Die meisten ihrer Ereignisse sind für uns irrelevant. Und wenn sie relevant werden, dann sind sie schwer auszudrücken.

Man muss sich in ein System wie die Politik, Wirtschaft, Justiz, Kunst, Medizin usw. wirklich tief eingearbeitet haben, um Aktualisierungen mitzugestalten und daraus einen persönlichen Lebensrahmen zu gestalten. Die gesellschaftlichen Ereignisse können für das psychische System dann am besten operativ aufbereitet werden, wenn man langjährige Berufserfahrung und ein entsprechendes Netzwerk hat. Aber nicht alle Menschen können daran gleichermaßen teilnehmen. Die soziale Welt ist nicht per se gerecht. Im Grunde genommen hat jeder von uns über sich Menschen stehen, die durch ihre Entscheidungen über uns verfügen können, ohne sich dafür erklären zu müssen. Deshalb ist jeder von uns außer vielleicht der Präsident von Amerika, auf eine Sprache angewiesen, die Informationsdefizite auf einer anderen Ebene mit aufarbeitet. Nichts anderes tut die Mundanastrologie seit Jahrtausenden, die politische Verhältnisse dokumentiert und mithilfe der Planetensymbolik auf persönliche Horoskopebene herunterbricht. 

V Ersetzbarkeit der Funktion

Und damit sind wir bei der fünften Prämisse Luhmanns. Alle Funktionen und Handlungen sind grundsätzlich gleichwertig und ersetzbar. Dies ist wie in einer Zelle, in der jeder Teilbereich seine spezifischen Aufgaben erfüllt, aber auch die von anderen mit übernehmen kann. Kein Bestandteil des Systems ist ‘heilig’. Es gibt keinen Kern, an dem alles andere hängt, sondern eine Mehrfachbesetzung aller Funktionen, die füreinander äquivalent ersetzbar sind. Nicht nur auf der Zellebene, sondern sogar bis hinauf zur Organebene. Die eine Niere kann bis zu einer gewissen Grenze nicht nur Funktionen der anderen Niere, sondern auch der Leber im Körper mit übernehmen, das Ohr im Ausnahmefall bei Synästheten sehen und das Auge bei Blinden fühlen. Die ganze Evolution ist eine einzige Maschinerie des Ausprobierens von Funktionsäquivalenzen und so ist es auch mit den sozialen Systemen der menschlichen Co-Evolution. Die Physik übernimmt Teile der Chemie, die Chemie der Biologie, die Biologie der Soziologie, die Soziologie der Medizin, die Medizin des Rechts usw.[17]

Auch diese Sichtweise ist nicht sofort einsichtig. Sie erscheint erst, wenn man tief in die Funktionen der Systeme eindringt und ihre Entwicklung studiert. Vor dem ‘normalen’ Auge ist jedes Individuum wie ein einzigartiges Wunderwerk, erschaffen aus einem ‘Bauplan’, der ihn auf vorbestimmte Weise wachsen lässt.[18] Doch tatsächlich ändert sich dieser Bauplan mit der Entwicklung. Es bleibt uns deshalb meist verborgen, weil unsere Wahrnehmung auf das Statische ausgerichtet ist und nach stabilen Figuren sucht. Und so nehmen wir auch die uns umgebende Gesellschaft als etwas Ganzes dar, obwohl sie ständig in Veränderungen begriffen ist und nur in unserer Vorstellung als Einheit existiert.

Alles im Grunde durch alles ersetzbar.  Die Funktionssysteme der Gesellschaft, wie etwa die Politik, die Wirtschaft, das Recht usw. können Teilaufgaben von anderen übernehmen. Dadurch kann die moderne Gesellschaft auf unvorhergesehene Systembrüche reagieren. Bei der Coronakrise etwa übernahm der Staat Aufgaben der freien Wirtschaft, so wie der Jupiter Aufgaben des Uranus im Horoskop übernehmen kann, wenn dieser aus irgendeinem Grund geschwächt ist. Die Justiz oder das Militär können in Krisensituationen Teile der Politik ersetzen, wenn diese moralisch zerfällt. Mars wird dann für Jupiter tätig. Je komplexer die Abläufe werden, desto fehleranfälliger sind sie auch. Uns nervt der ständige Umbau von Unternehmen, staatlichen Organisationen und sozialen Institutionen. Die Veränderungen der Umwelt und der sozialen Systeme benötigen aber solche Anpassungen – es braucht viele kleine und elegante Lösungen, um die Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Astrologie kann dabei helfen, soziale Systeme und ihre Ersatzfunktionen besser zu verstehen.

Saturnikern sind solche Systembildungen vertraut. Uranisch geprägte Menschen fragen sich hingegen, was all diese Sortiererei soll, die sie an ihrer spontanen Lebensentfaltung hindert. Doch beide zusammen sind nur in der Lage, intuitiv jeweils neue Regeln des Zusammenlebens zu definieren. Und weil nicht jeder einen Uranus im Wassermann und einen Saturn im Steinbock (oder umgekehrt) hat, können stattdessen unter den anzeigenden Transiten und Progressionen auch Aspekte, Häuserbesetzungen oder Dispositorenverkettungen dafür herhalten, Ersatzfunktionen zu übernehmen und Verbindungen herstellen.

Das Horoskop bildet einen derartigen sich ständig ändernder Bauplan eines abstrakten Selbst ab, das in der Wechselwirkung der Systeme entsteht. Seine Bestandteile sind komplex genug, um viele Arten von Funktionen abzubilden und ineinander überführbar zu machen. Gleichzeitig ist es aber auch begrenzt genug, um so etwas wie eine Struktur für uns darzustellen, innerhalb derer wir in überschaubarem Rahmen Ersetzungen vornehmen können. In diese Struktur eingebettet sind die unterschiedlichsten Modelle von Systemen erster und zweiter Ordnung, wie sie uns in der Umwelt erscheinen. Das Horoskop ist keine Blaupause des Menschen, sondern ein Abbild der Kommunikationsmöglichkeiten, die sich aufgrund des Datums seiner Geburt als Vorschlag ergeben.[19] Der Eindruck von Identität resultiert aus dem wiederholten Operieren von Ersetzungsfunktionen aller Art, die sich auf Dauer zu bewähren scheinen. Wir bleiben bei Handlungsmustern, die sich für uns einmal als erfolgreich gezeigt haben und sind in der Lage, sie zu gleichwertige Äquivalente zu ersetzen, ohne die Gesamtstruktur zu zerstören.

VI Zeit und Eigenwerte

Menschliche Gesellschaft lässt sich nicht am Reißbrett entwerfen. Die Verhandlung über moralisch aufgeladene Fragen ist besonders mühselig und selten erkenntnisreich. Moral ist ein riskantes Unternehmen. Wer moralisiert, lässt sich auf ein Risiko ein und wird bei Widerstand sich leicht in der Lage finden, nach stärkeren Mitteln suchen zu müssen oder an Selbstachtung einzubüßen. Trotzdem ist sie unerlässlich für das Funktionieren von Gesellschaften. „Moral hat daher, soweit sie sich nicht im Selbstverständlichen aufhält und hier fast unnötig ist, eine Tendenz, Streit zu erzeugen oder aus Streit zu entstehen und den Streit dann zu verschärfen.“[20]

Die Sprache hält einen Schatz von wertgeladenen und höchst ambivalenten Begriffen bereit, durch die wir Überzeugungen gewinnen, Weltbilder verteidigen und Gerechtigkeit üben. Und damit sind wir bei der sechsten Prämisse, die Luhmann von Heinz von Förster übernommen hat. Auch sie widerspricht unserem direkten Empfinden. Eigenwerte des Systems sind keine feststehenden Größen, wie es der Begriff suggerieren würden, sondern Hilfen zur Anknüpfung an Kommunikationen mit anderen Systemen.  Sie taugen nicht als ‘feststehende Konstanten’ obwohl sich der Mensch so sehr an ihnen festhält. Eigenwerte sind immer verhandelbare Größen, die in wechselseitiger Beziehung stehen und auf der Gegenseite die Gefahr eines Ungleichgewichts bergen. Wer besonders mutig ist muss damit rechnen, auf vorsichtige Eigenschaften zu stoßen. Wer Disziplin einfordert, wird Kreativität begegnen und umgekehrt, wer Mitbestimmung will, muss Autorität akzeptieren usw. usf.

Besonders deutlich wird die Beliebigkeit von Wertbegriffen am Gegenstand der Sozialwissenschaften selbst. Wenn ich als Soziologe  z.B. den Wert der Kultur und qualifizierter Sozialisierung hochhalte, dann bin ich automatisch in der Versuchung, andere Systeme zu diskreditieren, die eher ‘roher’ und vermeintlich weniger kultiviert veranlagt sind. Ich lasse mich irritieren von ‘asozialen’ Verhaltensweisen, die ich aber selbst nur schwer beobachten kann, da ich selbst diese Definition eingrenze und meine eigenen ‚asozialen Verhaltensweisen‘ gerne beschönige. Dieses Problem beispielsweise mit der radikalen Linken, die mit ihrem Hang zur Provokation natürlich die Gegenreaktion der radikalen Rechten auf sich zieht, ist ein uraltes Spiel, das nicht erst mit der Moderne erfunden wurde. Auf Dauer gleichen sich linke Tendenzen in Sozialwissenschaften und Medien mit den rechten Tendenzen in Institutionen und Naturwissenschaften immer aus, wenn die Verhandlungsprozesse offen gestaltet sind. Ein gewisses Maß an Radikalität von links, ist gut für die Demokratie und hält den Diskurs offen, der zumeist von konservativen Kräften diktiert wird.

Im sogenannten Historikerstreit, der von Jürgen Habermas und Ernst Noltes geführt wurde, ging es darum, ob der Holocaust eine einmalige Angelegenheit in der Menschheitsgeschichte gewesen sei oder möglicherweise als legitime Reaktion auf eine stalinistische Aggression zu bewerten sei. Der Streit wurde eindeutig zugunsten der Position von Habermas entschieden und deutsche Politiker nehmen seitdem die volle Verantwortung für die Taten ihrer Vorfahren auf sich. Denn niemals zuvor wurde versucht, ein ganzes Volk nachhaltig vom Erdball auszulöschen. Faschismus ist ein Randproblem des Kapitalismus, wie Adorno und Horkheimer in ihrer kritischen Theorie gezeigt haben. Wenn die Verwerfungen zu groß werden, die die Sucht nach Aktiengewinn und Ausbeutung der Arbeiter mit sich bringt, dann protestiert nicht nur die Linke, sondern es radikalisieren sich auch Teile der Rechten, die auf diese Weise ihr Pfründe erhalten will. Die NSDAP wurde über 10 Jahre lang von der Industrie gefördert, obwohl sie nur 3% der Stimmen gewann. Hitler war eine Marionette der Großunternehmer, die sich im Krieg und Autobahnbau gute Geschäfte versprachen. Unter dem Vorwand des Nationalismus brachten sie einen offenbar geisteskranken und gefühlskalten Demokratiefeind an die Macht. Und diese Dinge wiederholen sich bis heute.

Allerdings muss die Grenze des Sagbaren immer wieder neu definiert werden. Aggression ist nicht per se falsch. Je mehr ich meine, selbst kultiviert zu sein, und mich und meine natürliche Aggressivität vermeintlich ‘beherrschen’ gelernt habe, desto mehr muss ich selbst auf direkte, spontane Entäußerung verzichten, gönne das anderen auch nicht und werde zu einem Prinzipienreiter, der vielleicht nicht offen aggressiv ist aber passiv. Das Streben nach Kultur bedingt allgemein einen Verzicht auf archaische Riten. Trotzdem ist die Bewahrung einer gewissen Grundaggressivität innerhalb eines rechtsstaatlichen Rahmens wichtig.

Weil es immer eine Differenz benötigt, um Einheit zu erzeugen, kommen wir bei der Suche nach ‘wahrer Kultur’ nie wirklich an. Und so ist sowohl die soziologische Systemtheorie als auch die Astrologie nicht auf der Suche nach einem ‘geläuterten Menschen’ oder einer ‘perfekten Gesellschaft’, sondern auf der Suche nach einem Weg, das Bestreben um selbiges möglichst objektiv zu betrachten. Die Paradoxie, die notwendigerweise auf der Suche nach sozialer Identität und ethisch korrekter Gesellschaftstheorie entsteht, zwingt uns zu ständiger Neubewertung unserer sozialen Welt und der eigenen Prämissen. Etwaige Wahrheit kann immer nur situationsbezogen und perspektivisch sein. Die Grundwerte des Individuums sind genauso wenig verhandelbar, wie die es umgebende Gesellschaft. Sie zu finden gelingt aber nur in einem offenen Prozess. Von Förster drückte es in seinem ‘ethischen Imperativ’ so aus: ‘Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird![21]

Auch dieser Imperativ erscheint auf den ersten Blick nicht logisch. Sollten wir uns als ‘guter Mensch’ nicht bescheiden und noch mehr Tohuwabohu veranstalten?  Nein, definitiv nicht. Viele Möglichkeiten zu haben ist der sicherste Weg zur Selbstverwirklichung – auch wenn nicht jeder mit der Freiheit gleich verantwortungsvoll umgehen kann. Doch wer sind wir, darüber den Stab zu brechen? Astrologie als Protosystemtheorie operiert gewissermaßen unbewusst schon immer mit dieser Art von ‘Unlogik’. Gerade das Umkehren der gewohnten Denklogik erschließt tiefere Schichten in der Beratungssituation und öffnet für schwierige Themen, die im ‘normalen Kontext’ nur schwer aussprechbar sind.

Als Teil des zu beobachtenden Prozesses lassen sich Ergebnisse aller Theorien auf verschiedene Weise reproduzieren und bis zu einem vermeintlich letzten Schluss reduzieren, in der optimalerweise eine einzige Formel übrigbleibt. Die vorausgesetzte Theorie ist wesentlich für den Erfolg des Experiments, dass uns der ewigen Reproduktion dieses letzten Schlusses näherbringt. Und doch muss in jeder guten Theorie das Ende offenbleiben. Schon in Griechenland stritten sich die Schulen derjenigen, die von einem ewigen Wandel ausgingen (Pantha rei) und denen, die von letztbegründeten Einheiten, Kausalgründe stabile moralischen Werten und für den Menschen fassbare Regeln sprachen. Es war auch ein politischer Hintergrund, der vor solchen Disputen stand. Denn die Demokratie war jung und die Liste der Feinde auch im Inneren lang. Möglichst viele sollten an der Findung der richtigen Denk- und Lebensart beteiligt werden und so war man offen für neue Gedankenwege für die Findung einer sittlichen Gesellschaft.

Die systemische Sichtweise geht von einer wechselseitigen Bezugnahme aller Systeme aufeinander aus und einen grundsätzlich offenen Ausgang des Geschehens. Sie schließt aber auch nicht aus, dass es zeitweise sinnvoll ist, statische Eigenwerte quasi als Kristallisationspunkt für neue Theorien zuzulassen. Determination und Systemimmanenz erfolgt hier nicht in der logischen Folge von Regeln aus Grundannahmen, sondern durch den Vollzug von notwendig gewordenen Anschlusshandlungen aufgrund starker Gefährdungen des Systems.  Eigenwerte sind Selektoren, die Anschlüsse stabilisieren durch rekursive Anwendung einer Operation auf die Bewertung vorangehender Operationen. Eigenwerte beschränken nachfolgende Operationen und schaffen so Ordnung aus der Verbindung zwischen Operationen. Sie lähmen aber auch die Gesamtgeschwindigkeit des Systems. Hält ein System zu lange an einem überholten Wert fest, wird es unweigerlich in Konflikte mit anderen Systemen geraten. So baut jedes System sich an der Orientierung nach Zeitwerten seine eigene Ordnung auf.

„Worin unterscheidet sich dieses Zeitkonzept von anderen, etwa einem Begriff ‚sozialer Zeit‘, wie er in der Soziologie verbreitet ist? Gängige Vorstellungen ‚sozialer Zeit‘ unterstellen die Gültigkeit kollektiv geteilter Formen der Wahrnehmung/Auffassung (Durkheim 1984; Hubert/Mauss 1905) und Einteilung von Zeit (Bourdieu 1976; Zerubavel 1981). Davon kann – zumindest nach Luhmann – aber nicht einfach ausgegangen werden. Denn für ein ‚operatives‘ Verständnis von Zeit steht die Frage nach der Erzeugung der jeweiligen systemspezifischen Eigenzeit (Luhmann 1997: 83f), nicht die Übernahme vorgängiger Zeitvorstellungen, im Vordergrund. Allerdings wird die Entwicklung der Eigenzeit eines sich ausdifferenzierenden Systems, so sehr darin auch sein eigensinniger, diachroner Strukturaufbau zum Ausdruck kommt, nicht beliebig erfolgen können. Das System muss sich von den Zeitverhältnissen in der Umwelt einerseits abgrenzen, distanzieren, um Autonomie zu gewinnen, es muss aber auch an diese anschließen können (Luhmann 1997: 83f). Es muss seine eigene Zeit so organisieren, „dass es in der Lage ist, gegenüber der Umwelt Zeit zu gewinnen also Vorsorge (zu) treffen; teils muss es Überraschungen hinnehmen und verkraften können. Es muss Reaktionen verzögern oder beschleunigen können, währenddessen in der Umwelt schon wieder etwas anderes geschieht. Aber zum Problem wird dies nur dadurch, dass System und Umwelt ausweglos gleichzeitig operieren und das System also nicht in die Zukunft der Umwelt vorauseilen oder in der Vergangenheit zurückbleiben kann. Das System kann also nie in eine Zeitlage geraten, in der es sicher sein kann, dass in der Umwelt nichts geschieht“ (Luhmann 1997: 84) In der Tat, das ist ein zentrales Problem: Die Gleichzeitigkeit des Geschehens in System und Umwelt führt dazu, dass ein System dieses Geschehen – weil es gleichzeitig stattfindet – nicht kontrollieren kann, sich aber zugleich in seinen Operationen für verschiedene Eventualitäten ‚aufstellen‘, sich mit der Umwelt synchronisieren muss.“[22]

Das System schafft sich einen Zeitgewinn für die Reaktion auf Veränderungen, indem es die von ihm selbst definierten Operationen auf sich selbst anwendet. Es schafft sich damit quasi eine selbstgewählte Umwelt, auf die es mit zeitlicher Verzögerung reagiert. So erscheint ihm die Zukunft einigermaßen planbar. Das System der Astrologie schreibt Deutungsbücher, in denen es die Qualitäten der Planeten beschreibt. Sie beobachtet sich dabei selbst, wie sie Deutungen vornimmt. Ein Großteil der astrologischen Arbeit besteht in der Aufarbeitung dessen, was Kollegen gesagt und geschrieben haben und was man zufällig aufgeschnappt hat. Dabei entstehen die Eigenwerte der Planeten, die auf andere Systeme angewandt werden und Fremdreferenz möglich machen. Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, reagieren manchmal andere Systeme auf die Deutungen und so läuft die astrologische Kommunikation immer weiter und wir finden einen Sinn in ihr. Wer der Mensch dabei wirklich ist, werden wir allerdings nie erfahren, weil es diesen Menschen als feststehendes Ding nicht gibt. Er wird durch die Beschreibungen über ihn erschaffen.

Das System ist berechenbar, insofern es sich aus seinen Elementen in Organisation seiner Eigenwerte reproduziert, auch wenn es unklar ist, wie es dies tut. Es ist einfach da, indem es es tut und es muss es tun, um da zu sein. Es braucht kein transzendentales Ich, um den Bezug zu einer göttlichen Schöpferquelle herzustellen, keine ethisches a priori und kein moralisches Gesetz, sondern nur ein systemgetreues Handeln nach den selbst gesetzten Prinzipien, um eine Verbindung zwischen Ich und der Welt aufzubauen. „Inzwischen hat sich die Szenerie jedoch abermals verändert mit der Folge, dass das Subjekt nicht mehr allein steht mit dem Anspruch, Selbstreferenz zu repräsentieren. Selbstreferenz ist nicht länger ein Privileg des erkennenden Subjekts (oder: der erkennenden Subjekte). (…) Jedenfalls verfügen alle Handlungssysteme psychischer und sozialer Integration über Selbstreferenz, und zwar in einem so fundamentalen Sinne, dass ihre einzelnen Elemente (Handlungen) überhaupt nur im Selbstkontakt, das heißt in selektiver Bezugnahme auf andere Handlungen desselben Systems, konstituiert werden können“ (Luhmann 1997: 140).

Die Erfahrung der Unreduzierbarkeit des Sozialen ist die Erfahrung der Selbstreferenz des Sozialen. Damit entfällt auch der Schöpfungsbegriff, der eine metaphysische Verbindung zwischen Subjekt und Objekt konstruieren will und automatisch ethische Hierarchie nach sich zieht. Es gibt keine übergeordnete Struktur, in der die Einzelteile an ihre ‘richtige Stelle’ gelangen können, keine ‘göttliche Ordnung’[23], die verrutschen kann, sondern nur Eigenleistungen von Systemen. „Sozialen Systemen liegt nicht ‘das Subjekt’, sondern die Umwelt ‘zu Grunde’, und mit ‘Zu Grunde liegen’ ist dann nur gemeint, dass es Voraussetzungen der Ausdifferenzierung sozialer Systeme (unter anderen: Personen als Bewußtseinsträger) gibt, die nicht mit ausdifferenziert werden“ (Luhmann, 1993: 244).

Stattdessen treten Organisationsabläufe, die in komplexer Weise immer neue Ebenen des Daseins erzeugen, ohne aus ihren Elementen berechenbar zu sein. Das Ich entsteht aus der Differenz zwischen System und Umwelt in Bezugnahme auf diese Differenz, die im Ich immer schon mit angedacht ist. Es muss zum Experten seiner Umwelt und seiner eigenen Beobachtungen innerhalb der von ihm gewählten Kommunikations-Matrizen werden, um relevante Entscheidungen treffen zu können und an sie anzuknüpfen. Ansonsten bleibt es ein unsichtbarer Bestandteil von Kommunikation der Gesellschaft, die auch ohne das Ich abläuft. Das System hat kein Gedächtnis in dem Sinne eingebrannter Erfahrungen, sondern es schließt an logische Operationen, die es auch Organisationsgründen vollzogen hat und die gewissen Strukturen und Konstellationen bedingt haben.[24] Selbstreferentielle Systeme repräsentieren in ihren Strukturen eine Vergangenheit, die es so wie in der Erinnerung nie gegeben hat. 

VII Selbstreferentialität

Die Astrologie selbst ist wie die Systemtheorie kein leicht einzukreisendes Kommunikationssystem, da sie gewissermaßen ‘System der Systeme’ sind.[25] Beide Theorien sind zwangsläufig selbstreferentiell und damit noch mehr in Paradoxa verwickelt, als andere Systeme. Das entspricht der siebten Prämisse Luhmanns. Systemtheorie muss damit leben, dass ihre Kommunikationen ‘ausufern’ und Widersprüche erzeugen. Das ist nicht weiter schlimm, da hinreichend komplexe Systeme dazu neigen, von selbst Inseln der Stabilität auszubilden. Wesentlich ist allein der Fortlauf der Kommunikation. Und die läuft in der Astrologie seit Jahrtausenden ununterbrochen ab, ohne je so etwas wie ‘dem Schlüssel für den Menschen’ oder ‘der Zukunftsschau’ näher gekommen zu sein. Die Störungen und Irritationen, die von der Astrologie an andere Systeme ausgehen, halten die Suche aufrecht. Erst wenn sich niemand mehr über den anmaßenden Astrologen aufregt, wird sich sein Zweck erfüllt haben. Doch das wird nicht geschehen, da der Mensch ein Getriebener nach Sinnsuche ist und seine Existenz immer hinterfragen wird.

Es besteht historisch ein Riss zwischen jedem Herrschaftswissen und seiner jeweiligen Astrologie. Wenn wir uns mit Menschen beschäftigen, müssen wir diesen Riss zwischen elaborierter Psychologie, Anthropologie und Soziologie auf der einen Seite und ‘Volkssprech’ im Auge haben; ein Riss, der auch in jedem Menschen selbst noch einmal existiert und der auf gesellschaftlicher Ebene großen Unmut erzeugen kann, wenn Wissenschaft nicht für den Menschen da ist, sondern sich in ein Schneckenhaus theoretischer Gebildetheit zurückzieht. Dann erzeugt die sozialtherapeutische Diagnose von ‘psychischen Erkrankungen’ oder ‘Verhaltensauffälligkeiten’ Hass bei denjenigen, die dadurch entwertet werden und denen dadurch noch mehr die Chance genommen wird, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Je mehr astrologische Deutung Teil des Hauses der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Akzeptanz wird, desto eher wird sich dieser Riss vielleicht schließen lassen, damit auch der Laie bei klinischen Diagnosen zu einem Experten seiner vermeintlichen ‘Andersartigkeit’ werden kann.

Nach Luhmann gehören psychische Systeme zur ‘Umwelt’ sozialer Systeme und umgekehrt. Soziale Systeme sind mit unseren psychischen Systemen durch Sprache strukturell gekoppelt. Die sozialen Systeme können nebeneinander bestehen, weil ihre Kommunikationsstrukturen in sich geschlossen sind. Die sich verändernde Umwelt zwingt sie allerdings zu Neuerungen und zur Reduktion der wachsenden Komplexität. Je universeller ein Kommunikationssystem wie die Astrologie oder die Systemtheorie operiert, desto mehr Facetten des Daseins kann es aufgreifen, umso ‘unschärfer’ wird es aber auch und erzeugt beliebige Aussagen. Es kommt in den astrologischen Diskursen auf die situative Bezogenheit und die Mannigfaltigkeit der sprachlichen Variabilität an, was ein Zeichen von Kultur ist.[26] Je mehr Künstlichkeit wir allerdings erzeugen, desto mehr Aufwand müssen wir betreiben, um das soziale System an die biologische Wirklichkeit anzupassen. Der Mensch betreibt einen ungeheuren Aufwand, um die tiefsten Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln. Bald werden die von ihm geschaffenen Maschinen mehr Energie verbrauchen, als er selbst und spätestens dann stellt sich die Frage nach dem Sinn der Schöpfung neu. Denn die Evolution ‚hasst‘ unnötigen Aufwand.

Diese Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Aufwandes ist eine grundsätzliche des Lebens. Sie taucht nicht nur in ökonomischen und ökologischen Modellen auf, sondern auch in unserer persönlichen Leistungsbilanz. Auch in einer Therapie oder Lebensberatung geht es häufig um die Frage nach dem Nutzen des Verfahrens.  Die Frage ist rekursiv, weil zu ihrer Beantwortung wiederum Energie aufgebracht werden muss. Es gibt Menschen, die jahrelang in einer therapeutischen Behandlung verbrachten, ohne scheinbar eine Veränderung zu vollziehen. Doch können wir nicht in den Kopf des Betroffenen schauen und erkennen, was für ihn Sinn ergibt und was nicht. Dafür braucht es eine Verständigungsebene therapeutische Angebote, Aufstellungsarbeit, Beratung, Coaching oder Mediationstechniken, auf der trotz vermeintlichen Stillstands gemeinsame Entwicklung stattfinden kann. Die Bilder aus der Vergangenheit und Zukunft, die mit jedem Schritt verknüpft sind, den wir gemeinsam gehen, müssen in einen sinnvollen Kontext gebracht werden. Somit entsteht der Sinn meist erst mit dem Prozess. Das Empfinden von Sinn ist eine Folge des prinzipiell unmöglichen Versuches, Ereignisse so zu reproduzieren, dass ihr Fortlauf vorhersagbar ist. Wir suchen nach Erklärungen für das, was uns im Leben zustößt, doch gibt es keine Kausallogik in dem komplexen und verzweigten Handeln der Gesellschaft und kein Gesetz, das menschliches Dasein abschließend begründen könnte.

Und diesen fehlenden Bezug kann auch kein Astrologe herbeizaubern. Auch wenn die Sterne eine direkte Verbindung zwischen Zeit und Schicksal andeuten, so dürfen wir uns von der Illusion eines Zusammenhangs nicht überlisten lassen. Eine gute Beratung zeichnet sich immer durch den Moment der Leere aus, indem wir die Paradoxität und Sinnlosigkeit unseres Daseins erfassen. Erst in dieser Leere kann ein neuer Inhalt entstehen. Neue Motivation entsteht dort, wo die Verzweiflung über die Sinnlosigkeit unseres Tuns Akzeptanz findet. Wir müssen mit der Vorstellung einer wagen Zukunft leben und können nicht wissen was kommt. Wenn wir das Schicksal annehmen können, und akzeptieren, dass wir uns im Grunde ein Leben lang im Kreis drehen, dann können wir auch zur Ruhe kommen und verstehen, dass wir zu einem größeren Ganzen gehören, dem wir vertrauen können. Auch wenn wir selbst nicht den Einfluss darauf haben, was passiert.

Die astrologische Deutung ist ähnlich wie systemische Beratungsmethoden darauf ausgerichtet, den zerteilten Symbolraum (die Deutungsbausteine) immer wieder in übergeordnete Sinnzusammenhänge einzufügen. Darin entstehen ständig neue Sprachbilder, neue Mythen und neue Erklärungen für das, was es bedeutet, Mensch in einer unberechenbaren Welt zu sein. Viele Menschen haben Ehrfurcht oder sogar Angst vor der Astrologie, weil sie einem manchmal den Boden unter den Füßen wegzuziehen scheint und der Berater eine übernatürlich erscheinende Macht erhält. Doch ist dieser Prozess nur die Sichtbarmachung der Übertragungsphänomene, die in derartigen Situationen geschieht, wo ein Mensch einem anderen den Abgrund seines Schicksals offenbart und beide einen neuen Sinn darin erkennen können.

Die astrologische Funktion der Schicksalsbestimmung und Deutung von Entscheidungsprozessen ist gewissermaßen der Versuch einer Nachahmung der Erfahrungen von schicksalshaften Entscheidungen, katastrophalen Scheiterns und traumatischen Erlebnissen in einem kleinen ‚Sprachlabor’. Wir versuchen mithilfe der Formalisierung der alltäglichen Schemen und Urteilsmuster einen Dekonstruktionsraum zur Verfügung zu stellen, in dem wir zu einer neuen Ganzheit finden können. Einer Einheit, die wir mit den bisherigen Mitteln nicht in der gewohnten Sprache erzeugen konnten und dessen neue Begrifflichkeit zu einer neuen Identität werden kann, aus der die Entscheidungen aus einer anderen Sicht erscheinen.

Astrologie funktioniert, indem sie der emotionsgeladenen Sprache des Sozialen eine Matrix unterlegt, die wiederum auf unsere Gefühlsleben zurückwirkt. Die Ein- und Ausdrücke sind gleichzeitig so allgemein und individuell, dass es weniger darum geht, sie zu begründen, als den Widerspruch in ihnen wahrzunehmen und in sich selbst wiederzuerkennen. Durch die Anwendung im realen Leben können dann Verbesserung der sozialen Beziehungen und eine Präzisierung der sprachlichen Äußerungen erfolgen. Wir werden es nicht beweisen können. Die Sterne wirken tatsächlich auf unser Schicksal ein; jedoch anders als wir denken. Im Austausch mit jedem Menschen, jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Kristall und jedem geistigen Wesen, dem wir begegnen, können wir lernen, dass wir letztendlich immer schon verbunden waren – und der Zustand der Trennung von der Schöpfung nur aus der Panik eines Geistes entstehen kann, der sich dieser Verbindung nicht mehr gegenwärtig ist. Bücher über Philosophie, Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Geschichte, Kunst, Literatur und all die anderen Fächer können ein Anker und Trost sein. Die Kunst besteht darin, die daraus gewonnen Erkenntnisse systematisch zusammenzufügen und mit der persönlichen Leidensgeschichte zu verbinden.

Ernst Jünger bemerkte, bevor systemische und narrative Herangehensweisen der Biographiearbeit ein breiteres Publikum gefunden hatten: „Es wird für Menschen ewig müßig bleiben, über das zu streiten, was in den Sternen geschrieben steht. Unbestreitbar bleibt jedoch ihr Bedürfnis nach Schicksalserforschung, das unausrottbar ist und durch kein Wissen befriedigt werden kann. Der Astrologe, der um die Anerkennung seiner Einsicht als Wissenschaft sich abmüht, geht daher in verkehrter Richtung; der Erfolg würde ihm eben so wenig nützen wie die Erfindung des Schachautomaten den Schachspielern. (…) Wenn wir unvoreingenommen das Gebäude der Astrologie betreten, wird uns bald spürbar, dass dort in der Tat ein Wissen obwaltet. Wir fühlen, dass sich unsere Augen schärfen und astrologische Typen wahrnehmen, oder wenigstens Typen, die den astrologischen ähnlich sind. Freilich sind diese Typen nicht messbar wie Figuren der Geometrie. Und darin liegt ihre Qualität.“[27]


[1]                  Auch wir Astrologen müssen uns zunächst fragen, was wir im ökonomisch-sozialwissenschaftlichen Kontext überhaupt meinen, wenn wir bestimmte Begriffe wie Planet, Transit, Deutung, Sinn, Identität oder Persönlichkeit im Anspruch auf Verbesserung der Situation des Einzelnen und seines Milieus benutzen.

[2]                  So geschehen in der Sendung Terra X vom 30.9.2019, als eine Astrologin das Horoskop von Moderator Harald Lesch deutete und dieser darüber sehr erstaunt war.

[3] Es gibt Astrologen, die z.B. behaupten, dass Saturn immer die Großmutter repräsentiere. Sie ziehen damit natürlich Menschen an, bei denen die Eltern schwach waren, weil sie ihrerseits unter dem restriktiven Einfluss eines weiblichen Elternteils standen. Und vermitteln somit dem Klienten, selbst einen starken Elternteil vertreten zu können. Das ist natürlich ein extremes Beispiel von fehlendem Verantwortungsbewusstsein und Feingefühl für die individuelle Bedeutung des Horoskops. Aber unbewusst legen wir alle solche Kategorien an, die uns in der Selbstbestätigung helfen. Die Kunst ist, damit sofort aufzuhören, wenn man sich dabei erwischt.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kluger_Hans

[5]                  Das meinte vielleicht auch Hegel, als er sagte, dass in der Geschichte alles zweimal passiert.

[6]                  Luhmann 1970b: 160 www.a-priller.homepage.t-online.de/lu2.htm

[7] Kneer, Nassehi, 1993, Theorie sozialer Systeme, S. 99, https://luhmann.ir/wp-content/uploads/2021/07/Niklas-Luhmanns-Theorie-sozialer-Systeme.-Eine-Einfuhrung.pdf

[8]                  Z.B. von Jan Spiller, Michael Roscher, Howard Sasportas, Robert Hand, Anita Cortesi, Hermann Meyer, Markus Jehle, Thomas Ring, Martin Schulmann, Martin Boot, Jeff Green, Liz Green, Dane Rudhyar u.v.a.

[9]                  Ich kenne nur wenige Beispiele aus meiner Praxis, wo ein Klient die Deutung wörtlich genommen hätte; seine Schlussfolgerung ist oft auch eine überraschend andere als intendiert.

[10] Plotin rettete den Gedanken der Urideen dadurch, dass er die Tugenden an sich als abstrakte Größen definierte, die man nicht lehren könnte, sondern nur erfahren. 

[11]                Die seriöse Astrologie hat allerdings auch nie behauptet, dies tun zu können. Alle ‘großen’ Astrologen haben vom Mysterium der Zeit gesprochen und der Illusion, die sie für uns erzeugt. In die Zukunft zu schauen heißt für einen Astrologen dem Klienten zu helfen, sich selbst zu ordnen und Eigenverantwortung für die Gegenwart zu übernehmen, indem man erweiterte Perspektiven für die Zukunft aufzeigt – als Möglichkeit.

[12] Mit der Relativitätstheorie und Quantentheorie hat sich die Sichtweise in den Naturwissenschaften dahingehend verändert, dass Materie nicht als etwas Statisches betrachtet wird, sondern als beeinflusst von der Beobachtung von Raum und Zeit selbst. Die Ergebnisse von Veränderungen in der Welt, die Menschen messen, sind deshalb oft durch seine Wahrnehmung selbst vorgegeben und interpretiert.

[13]                Wenn Luhmann sagt: Nur Systeme kommunizieren, nicht Menschen, dann meint er die systemische Selbstorganisation der sozialen Regelkreise. Das menschliche Bewusstsein ist eine Black Box, in die man nicht hineinschauen kann und dessen Kommunikation deshalb nur in einem sozialen Zusammenhang beobachtbar ist.

[14]                Es sei denn, man lehnt ‘diese Welt’ komplett ab und postuliert einen eigenen Raum der Erfahrung, wie dies in Verschwörungskreisen der Fall ist. Mit ihnen wird die Astrologie immer zu tun haben wird, da sie eine ‘offene’ Theorie ist, die vor allem den Widerspruch und die Zweifel des Menschen in Lebenskrisen beobachtet.

[15]                Diese Sichtweise findet sich durchgängig noch bei den Vorsokratikern, wo ‘karmische’ Modelle (angelehnt an vedische Vorstellungen) eine große Rolle spielten. Heute ist es die Thermodynamik und das Gesetz der Entropie, die unsere Vorstellungen dahin lenken, dass es keine strenge Determination im Sinne eindeutiger Materiebewegungen gibt, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, die im Einzelfall auch in eine andere Richtung laufen können.

[16]                Diese Konzeption der strukturellen Kopplung übernimmt Luhmann von Maturana, der darauf aufmerksam machte, dass Nervensysteme keinen direkten Umweltkontakt haben, sondern immer nur auf ihre eigenen Prozesse zurückgreifen können. Alle Elemente, aus denen soziale Systeme bestehen (Kommunikation), erzeugen ‚sie selbst‘.

[17]                So wie früher Astrologie Teile der Alchemie, der heiligen Geometrie, der Geomantie und der Naturheilkunde ersetzt hat. Auf diese wird auch in Zukunft in einer astrologischen Soziologie nur schwer zu verzichten sein, will man die alten Schriften in ihrem Kontext verstehen.

[18]                Diese Suche nach einem ‘Bauplan’, der alles determiniert, scheint dem Wunsch des Strebens nach menschlicher Allmacht zu entspringen. Je weiter unser Wissen allerdings fortschreitet, desto unwahrscheinlicher wird die Existenz eines solchen ‘Plans’. Schon Darwin bemerkte, dass Mutationen unvorhersehbar wären und der Zufall ein wesentlicher Faktor des Lebens.

[19]                Wir sind theoretisch frei, uns danach zu richten, wie schon Goethe bemerkte: Die Sterne machen geneigt, aber sie zwingen nicht. Doch in der Realität machen wir meist das Gewohnte, das durch Normen vorgegeben ist, die allerdings wiederum durch kosmo-biologische, psycho-soziale Deutungen beeinflusst wurden.

[20] Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Band 3, S. 370

[21] Heinz von Förster, 1973, Über das Konstruieren von Möglichkeiten, S. 49

[22]                https://www.uni-due.de/imperia/md/content/soziologie/brose/uglusyn.pdf

[23]                Das Horoskop ist nur ein Arbeitsmittel, das auf tausenderlei Art veränderbar ist, es gibt keine ‘absolute Ordnung’, keine ‘Urform’, kein ‘erstes Horoskop’, sondern nur sich gegenseitig beeinflussende Prozesse.

[24]                Das Nervensystem ist demnach auch nicht ein Arbeitsspeicher wie beim Computer, sondern ein nachwachsendes Geflecht, das sich immer wieder selbst neu programmiert.

[25]                Es macht deshalb auch keinen Sinn, von einem ‘Planeten der Astrologie’ zu sprechen.

[26]                Auch für Arnold Gehlen, der eine frühzeitliche Theorie der Institutionen schuf, brachten Kunst und Kultur die größten Entlastungen für den Menschen, weil sie ihm den größten Spielraum zum Gestalten geben (1956)..

[27] Ernst Jünger, 1959, An der Zeitmauer, Stuttgart