Merkur/Chiron

. Die Vorstellung ist nicht die Wirklichkeit. Die soziale Wirklichkeit entsteht aus der Verhandlung über die selbige und diese muss mit den persönlichen Vorstellungen jeweils ‘synchronisiert’ werden. Menschliches Verhalten ist aufeinander abgestimmt, je positiver eine Beziehung ist, desto mehr sind wir bereit, in den anderen ‘einzuschwingen’ und über Spiegelneuronen Ähnlichkeiten zuzulassen. So entstehen lang andauernde Zustände von Gleichklang, die nicht mehr so extrem für die Irritationen der Zeit-Gegensätze empfindlich sind. Je länger Menschen zusammen sind, desto mehr gleichen sich ihre Verhaltensweisen und auch ihr Aussehen an. Sie bilden Repräsentationen im Gehirn, die auf ähnliche Muster reagieren, indem sie dieselben Dinge erleben, dieselben Filme gucken, dieselben Nachrichten selektieren und sich so mit der Zeit zu der Weltgesellschaft annähern, die sie einstmals waren.

Merkur steht für dieses intuitive Einschwingen und Ausbilden gemeinsamer Erlebnisse, die aber der Überprüfung bedürfen. Es braucht zusätzlich ein ‘Rechensystem’, das objektive Maßtäbe anlegt. In der Astrologie wird dieses Prinzip durch das Zeichen Jungfrau vertreten, dem wir jetzt den Kleinplanet Chiron zuordnen. Kahnemann beschrieb die Wechselwirkung aus intuitiver und rationaler Entscheidung als das Zusammenspiel zweier Systeme, die sich wechselseitig ergänzen (siehe auch Kahnemann 2012). Ein schnelles, das die Sache schnell überfliegt und abschätzt (Merkur) und ein langsames, das nochmal gründlich nachrechnet (Chiron). Die Intuition, System 1, wie er es nannte, kann sich mit ihren Heuristiken gründlich irren; zahlreich sind die Beispiele für Wahrnehmungsverzerrungen, die auch ethisch bedenkliches hervorbringen. Doch zu viel von System 2, dem Rechenapparat, kann dazu führen, dass System 1 langsam wird und nicht mehr konzentriert ‘arbeitet’.   

System 1 ist für das schnelle, intuitive Überschlagen einer Situation verantwortlich, sozusagen dem Bauchgefühl und System 2 für die genaue Kalkulation. Er stellte dar, wieviel Fehlentscheidungen wir im Leben aufgrund des Bauchgefühls treffen und wieviel Vorurteilen wir uns durch unüberprüfte Annahmen hingeben. Er führte aber auch Experimente durch, die belegen, dass eine übertriebene Verstandesbetonung die Intuition lähmt, Menschen, die Rechenaufgaben durchführten, hatten beispielsweise signifikant mehr Wahrnehmungsfehler von einfachen Situationen.

In jedem von uns selbst ist ein Widerspruch von Engelchen und Teufelchen. Der eine möchte der schnellen Intuition nachgeben und zu einer Entscheidung kommen, der andere berechnet währenddessen noch die letzten Unabwägbarkeiten. Wir werden niemals wissen, wer von beiden Recht gehabt hat, denn der Moment der Erkenntnis ist unwiderruflich mit dem gefassten Gedanken vorbei. Wir können allerdings eine Ableitung aus den Erfahrungen machen, die viele Denker vor uns gemacht haben und die unsere Bibliotheken und Computerspeicher füllen. In dem Gegensatz von synchronen Bildern und Symbolen auf der einen Seite und logisch, kausaler Beweisführung auf der anderen Seite hebt sich der Gegensatz von sinnlicher Freizeit und mühsamer Arbeit letztendlich aber auf. Denn das Denken und ‘Vernünfteln’ wird zu einem Selbstzweck und Vergnügen, Arbeit und Freizeit fließen ineinander und gehen in einen umfassend erfüllten Alltag ein, in dem nicht mehr ständig über den Sinn jeder Handlung nachgedacht werden muss.