Der Mitternachtslauf der Planeten
Doch welche astrologische Theorie beschreibt die Lebensphasen auf adäquate Weise? Es gibt verschiedene Methoden, den Anfangspunkt des Tierkreises zu bestimmen. Und auch über die ‘richtige’ Drehrichtung herrschen unterschiedliche Ansichten. Alle haben letztendlich ihre Richtigkeit, denn Astrologie benötigt Modelle, die von Fall zu Fall variabel eingesetzt werden können und die entsprechende Fragestellung erhellen. Nicht anders ist es in den Sozialwissenschaften auch. Es gibt keine große, alles vereinheitlichende Theorie und es gibt keine ontologischen ‘Wahrheiten’, die grundlegender als andere wären. In der Astrologie ist es sogar so, dass jeder Astrologe ein anderes Setting benutzt, um den Klienten so individuell wie möglich beraten zu können.
Ich habe mich bei der Wahl der Reihenfolge der Planeten von der einfachen Tatsache leiten lassen, dass die ersten fünf Planeten des Sonnensystems Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn in dieser Reihenfolge im alten Tierkreis erscheint; regierend über die Häuser 3, 2, 1, 12 und 11 im Horoskop.[1] Damit ist die Reihenfolge festgelegt. Übereinstimmend beginnt der Tag kalendarisch gesehen um Mitternacht, was im Horoskop dem Übergang am IC von Haus 4 zu Haus 3 entspricht. Die Sonne steht dann jeweils für ca. 2 Stunden in Haus 3, dann 2, dann 1, bevor sie am Morgen am Aszendenten aufgeht (so hat der Tag also 12 Doppelstunden, was in antiken Systemen häufig der Fall war). Sie folgt im übertragenen Sinn dem Uhrzeiger also ab Mitternacht über die Morgenstunden im 1. Quadranten, den Vormittag im 2. Quadranten, den Nachmittag im 3. Quadraten und den Abend im 4. Quadranten und legt damit die Reihenfolge der Planeten fest, so wie sie durch das im Kapitel zuvor beschriebene System der Parallelzeichenregenten als über eine Achse gespiegelte Paare im Tierkreis angelegt wurde.[2]
Im modernen System der Astrologie mit den neuen Planeten erfolgt allerdings ein Bruch. Die Häuser 12 und 11, die von den Planeten Neptun und Uranus regiert werden, durchbrechen die Planetenreihe. Dies ist für mich kein Hindernis, die Zuordnung aufzugeben. Die neuen Planeten stehen ja anstelle eines Merkmals des Parallelzeichenregenten und drücken dessen Thema von der ‘anderen Seite’ aus. Neptun steht ja für nichts anderes als die ‘zweite Bedeutung’ von Jupiter im Zeichen Fische.[3] Es geht um Analogien und nicht logisch-kausale Abläufe. So wurde auch die so genannten ‘chaldäische Reihe’ der Babylonier umbesetzt. Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn bilden einen Siebenstern, in dem jeder dritte Planet gezählt wird und der als Pate für die Bezeichnung der Wochentage stand, die sich auch in den europäischen Sprachen niederschlugen. Sonntag=Sonne, Montag = Mond, Mardi = Mars, Mercredi = Merkur, Donnerstag = Jupiter/Thor, Freitag (Friday) = Venus, Freia, Saturday = Saturn. Der Mond rückte allerdings für die Erde stehend zwischen Venus und Mars.[4]
Nun kann man streiten, ob man den exoterischen Tierkreis mit der Sonne in Haus 5 beginnen lässt, oder mit dem Mond in Haus 4 als erster Planet des Schnitts der Parallelzeichenregenten oder eben in Haus 3 mit Merkur. Alle drei Versionen haben einen Sinn. Mit der Sonne beginnt die Einteilung nach den Altersabschnitte bei 0 -2 Jahre (und endet im 6. Haus mit Chiron bei 84 – 118 Jahre). Beginnen wir mit dem Mond, dann sind wir auf der Achse, die die Parallelzeichenregenten teilt und dem Alter von 2 Jahren, in dem die Sprache einsetzt. Es ist auch die Zeit, an die unsere frühesten Erinnerungen zurückreichen. Für Merkur spricht nicht nur, dass dort ein neuer Quadrant beginnt und die Analogie zur Mitternachtszeit gut passt, sondern auch, dass der Planet Merkur in der Astrologie eine Funktion hat, die ihn für das Symbol des Anfangs prädestiniert. Er steht esoterisch gesehen für das ‘geistige Erwachen’ und den ‘vollständigen Menschen’, da sein Symbol alle drei ‘Kräfte’ enthält, das materielle (Kreuz), das geistige (Kreis) und das Seelische (Mond). Diese Begründung ist natürlich tautologisch, denn die Konstruktion des Symbols von Merkur und die Konstruktion des Tierkreises selbstreferentiell aufeinander aufbaut.
Für die Berechnung von Alterspunkte gibt es zwei hauptsächliche Methoden in der Astrologie, die mit den Zahlen 6 (Huber) oder 7 (Döbereiner) arbeiten. So kommt man auf ein Lebensalter von 72 bzw. 84 für eine Umrundung. Diese Alterspunkte fangen am Aszendenten an und entwickeln sich bei Huber mit der Drehrichtung gegen den Uhrzeigersinn, bei Döbereiner in die entgegengesetzte Richtung. Viele Astrologen bekommen damit gute Ergebnisse, doch endgültig befriedigend ist diese Lösung für mich nicht, da Lebensabschnitte nicht gleich lang dauern; die Pubertät etwa ist länger ausgeprägt als die Latenz und diese wieder länger als die frühkindliche Phase. Zudem leben wir gewissermaßen ‘zwei Leben’, eines bis zum mittleren Erwachsensein, das stark von dem Umfeld abhängt, in das wir geboren werden und ein zweites, in dem wir aufgefordert sind, selbstverantwortlich zu handeln. C.G. Jung sagte, dass die erste Hälfte unseres Lebens der Natur gewidmet ist und die zweite der Kultur.
Ich suchte nach einer geometrischen Lösung, in dem das Leben in diesen zwei Hälften aufeinander aufbauend abläuft. Und fand es in dem Symbol der Doppelspirale, das seit dem Neolithikum auf Felsenmalereien dargestellt wird. In der Doppelspirale enthalten ist der Goldene Schnitt, der in der Natur in vielfältiger Form zu beobachten ist. In jeder Spiralwindung wiederholt sich das Thema auf unterschiedliche Weise und lässt die Zeit gedehnt oder komprimiert erscheinen. Enthalten ist auch das Prinzip der Ausdehnung und Zusammenziehung in umgekehrter Form – der Wiederholung des Gelernten in umgedrehter Reihenfolge und erinnert an unser Gedächtnis, dass sich die Dinge der nahen Vergangenheit nur kurz behält und dafür die für es wesentlichen Dinge der fernen Vergangenheit fest abspeichert, falls sie die Prüfung durch den Filter des Kurzzeitgedächtnisses bestanden haben. Wenn man die Spiralform aufwindet und auf einen Kreis projiziert erhält man die Altersspirale, die zweimal die Fibonacci Reihe (3,5,8,13,21) abbildet.
Die Sonne entspricht den ersten beiden Lebensjahren, in dem sich die Grund-Persönlichkeit entwickelt. Diese wird sich nicht mehr viel ändern im Leben. Was in diesen Jahren nicht angelegt und im Gehirn verschaltet ist, wird nur noch schwer zu erwerben sein. Besonders wichtig ist die emotionale Rückmeldung von Eltern und Erziehern. Es folgen die weiteren Lebensphasen, die je einem Planeten zugeordnet sind, beginnend mit dem Mond in Haus 4 und dem Planet Merkur in Haus 3 und von dort rückwärts durch den Tierkreis laufend. Da die Astrologie ein multikomplexes Modell ist, in der die Aufeinanderfolge der Zeichen und Planeten nicht zufällig ist, sondern eine eigene Geschichte erzählt, verweist jede Deutung eines Planeten in einem Zeichen automatisch auch auf das ihm vorgestellte Zeichen.[5]
[1] Merkur wäre also Nr. 1, Venus Nr. 2, Mars die 3, Jupiter die 4 und Saturn die 5. Die Symbole Jupiters und Saturns ähneln unseren heutigen, aus dem arabischen stammenden Zahlen 4 und 5.
[2] Sie wird in ‘Zeitvorstellungen und Identität’ ausführlich beschrieben und in ‘Was ist Mythos?’ auf die Abfolge der Weltenzeitalter angewandt.
[3] Man könnte natürlich auch dafür plädieren, die neuen Regenten zu ändern und das Haus 10 durch den Planeten Uranus und Haus 9 durch Neptun zu besetzen. Dann wäre auch Pluto in Haus 8 in seiner ‘natürlichen Folge’. Dies bringt allerdings neue Schwierigkeiten, wie ich in ‘12 Freunde’ ausführe.
[4] In dem Maße, wie die neuen Planeten in den Tierkreis integriert werden, spielen diese alten Zuordnungen immer weniger eine Rolle. Ausnahme im Westen ist z.B. die esoterische Astrologie nach Alice Bailey.
[5] Peter Schlapp hat klargemacht, dass jede Einteilung in Abschnitte die weiteren inhärent enthält und nicht nur durch den jeweiligen Regenten allein repräsentiert wird, sondern ebenfalls durch die sich folgenden. Wenn Merkur bei einem Zwillings-AC das erste Haus beherrscht, dann ist das zweite durch den Mond regiert, das dritte durch die Sonne usw. (Buch)