Zeittypen

Schon gleich am Anfang meines Interesses für Astrologie fragte ich mich, wie sich die mittelalterlichen Temperamente im Horoskop abbilden. Schließlich sind der Phlegmatiker, der Choleriker, der Sanguiniker und der Melancholiker die mit am besten beschriebenen Typologien der Antike und des Mittelalters. Vielfach in der Literatur und bildenden Kunst bis zum heutigen Tag kolportiert. Doch existiert keine eindeutige Zuordnung zu Planeten und Sternzeichen. Manche ordnen dem Phlegmatiker das Element Wasser zu. Aber sind Pluto im Skorpion und Neptun in den Fischen wirklich phlegmatischer Naturen. Auch der Jupiter erscheint als Feuerplanet selten cholerisch, die Venus als Erdplanet nicht unbedingt melancholisch und der Uranus als Luftplanet nicht sanguinisch. Uranier und Wassermänner scheinen vielmehr praxisverhaftet und schweben selten auf Luftwolken.

Es muss noch eine andere Ebene geben, auf denen die Humorale, wie sie auch genannte wurden, wirksam werden. Man spürt auch hier das zeitliche Empfinden, die flattrige Abgehobenheit des Sanguinikers, die Ungeduld des Cholerikers, dem es nicht schnell genug geht, die Bedächtigkeit des Phlegmatikers und die stille Verzweiflung des Melancholikers, der trotzdem die Hoffnung nie aufgibt. Dann stolperte ich auf einer Veranstaltung der Giardano-Bruno-Stiftung in Nürnberg zufällig über ein Buch. Die Psychologieprofessoren Philip Zimbardo und John Boyd veröffentlichten 1997 einen Test über ‘Zeittypen’ (ZTPI, Zimbardos Fragebogen zur Zeitperspektive), der in vielen Ländern validiert worden ist.[1] Er reflektiert Einstellungen und Wertvorstellungen über die Zeit, wobei sechs Typen unterschieden werden – je zwei für Vergangenheitsbezogenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie können meiner Meinung nach mit den Polaritäten von aktiven und passiven Zeichen sowie den mittelalterlichen Temperamenten gut in Übereinstimmung gebracht werden. Für die Überprüfung von astrologischen Aussagen wäre es sinnvoll, diese große Menge an Daten zur Hilfe zu nehmen, die sich aus den von Fragebögen von Zimbardo/Boyd ergeben, und auf das Horoskop zu übertragen.

In ihrer Studie legten Zimbardo/Boyd den Probanden über 200 Fragen vor, anhand derer sie schließlich sechs verschiedenen ‚Zeittypen‘ ermittelten – dem jeweils negativen und positiven Aspekt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Fragen sind im Internet abrufbar und beziehen sich explizit auf Wahrnehmungen von Zeit. In ihrem Buch von 2009 beschreiben die beiden Autoren, dass Menschen, die näher am Äquator leben, scheinbar gegenwartsbezogener sind, Katholiken mehr in der Vergangenheit leben und Protestanten mehr in der Zukunft. [2]

Ihre Studien zeigen, dass unsere Zeitperspektive weitgehend in der Kindheit erlernt wird. Vorherrschende Werte, Normen und Rollen werden unbewusst verinnerlicht und als Zeiterleben deklariert. So hängen die einen dem Verlust der guten alten Zeit nach, während die anderen immer nach vorne streben. Die Zeitperspektive kann aber auch durch einschneidende Erlebnisse und kulturelle Ereignisse verändert werden. Individualistische Leistungsgesellschaften sind eher zukunftsorientiert, während Wir-fokussierte Gesellschaften mehr in die Vergangenheit und soziale Einrichtungen investieren. Menschen in ärmeren Milieus sind gezwungen, mehr auf die Gegenwart fokussiert zu sein, während sich die Bessergestellten, wie auch in der Maslowpyramide angedeutet, mit kulturellen Werten beschäftigen können.


[1]                  Philip Zimbardo, John Boyd, Die neue Psychologie der Zeit, 2011, S. 60

[2]                  Ludger Bregmann belegt in seinem Buch ‚Im Grund gut’, dass die Untersuchungen von Zimbardo bei seinem berühmt gewordenen Stanford-Prison-Experiment mehr als fragwürdige Voraussetzungen hatten und in der Durchführung manipuliert waren. Deshalb ist es vielleicht keine gute Idee, Zimbardo hier als Gewährsmann aufzuführen. Im Grunde ist Zimbardos Time Perspective Test auch nur eine Wiederaufnahme der uralten Themas der elementaren Typen. Ich nehme seinen Vorschlag trotzdem auf, weil er eine wesentliche Kernidee enthält. Dass diese elementaren Typen aufgrund von Zeitvorstellungen und einer Sprache resultieren, deren Vorstellungen für den Eigner durch ihre Verwendung prägend werden. Und die Fragebogen durchaus auch für die Erfassung von astrologischen Persönlichkeitstypen einen Wert besitzen können.

ZeitformPlanetTemperamentEigenschaften
A Negative   – VergangenheitSaturn   10 Mond     4Phlegmatiker Erde/Wasserempfindsam, aufschiebend, nörglerisch, zögernd, altlastig, geduldig, weinerlich, sieht sich selbst als fehlerhaft
B Positive     + VergangenheitJupiter     9 Merkur    3Sanguiniker Luft  Intellektuell, leicht, retro, die alte Zeit beschwörend, lässig, abgehoben, neugierig, oberflächlich
C fatalistische Gegenwart    –Pluto        8 Venus      2Fatalist Erde/WasserSkeptisch, deterministisch,   realistisch, starrsinnig, transformativ, kritisch, sieht die Welt als fehlerhaft
D Hedonist. Gegenwart   +Lilith        7   Mars         1Hedonist Feuer/LuftImpulsiv, direkt, lustbetont, agil, entschlossen,  freiheitlich, dynamisch,  will die Welt erobern
E negative     – ZukunftChiron      6 Neptun  12Melancholik. Erde/WasserStoisch, geerdet, ruhig, gelassen, beredet, s. Zeit voraus, nüchtern, tiefgründig, verschlossen
F positive     + ZukunftSonne      5 Uranus   11  Choleriker  FeuerAufbrausend, fixierend, ungeduldig, meinungsstark, extrovertiert, hart, will sich durchsetzen, nach vorne gehend