In der zweiten Zeit-Unterscheidung stellt sich die die Idee des Absoluten (Neptun) gegen das ‘Relative’ (Jupiter in Schütze), der währende Zeitgeist, der mal so, mal so ausfallen kann. Es entstehen automatisch Erwartungen und Projektionen in eine etwaige Zukunft, über die verhandelt werden muss.[1] Der Mensch wird zum ‘Plantier’, das den Zeitgeist seiner Generation auszuloten hat und in Konflikt mit den ‘Alten’ tritt, die das ewig gestrige verkörpern. Man streitet sich um die ‘wahre Ideologie’ und den ‘Sinn der göttlichen Gesetze’. Besonders in Zeiten von Krisen und Kriegen werden Verhaltensmuster weitergegeben, die ihren ursprünglichen Zweck verfehlen, Ängste und Blockaden, die mangels Kenntnis des einstigen Konfliktgegenstands nach Alternativen suchen und sie in Fragen der ‘richtigen’ Erziehung und Ernährung, dem Umgang mit der Natur oder der Kommunikation an sich, finden.
Denn die Menschen stellten schnell fest, dass auch das Ewige nicht ohne Widerspruch war und einen weiteren Gegensatz hervorgebracht hatte: Das Zeitgemäße, das, was gerade in und chic war und praktischen Werten des Zeitgeists entsprach. Das zweite Gesicht Jupiters wurde so zur ‘Mode’ und sein Zeichen, der feurige Schütze, zum Zeichen der Politik, die sich von nun an unversöhnlich der ‘wässrigen’ Religion (Fische) gegenüberstellte. Die Menschen schufen Totems ihrer Glaubenszugehörigkeit und zogen, obwohl sie Meister der Architektur und des Ackerbaus waren, weiter als Jäger und Nomaden durch die Welt, um einander und den unterschiedlichen Weltanschauungen aus dem Weg gehen zu können. Immer mehr Wissen und Kultur wurde angesammelt. Je länger die Reifung zum Erwachsenen dauerte, desto ‘verschulter’ wurde der Mensch. Es war nicht erst die Schrift, die ihn in ein Verhältnis zu seiner Kultur setzte, sondern die auswendig gelernten Mythen eines Volkes und in deren Spannungsverhältnis er seine eigene Narration entwarf und das Erleben in einer zweiten Zeit der Erzählung erprobte.
Nach Bergson ist Zeit vor allem eine psychologische und alle Ereignisse bekommen eine eigene Dynamik in der Zeit zugewiesen, wo es schicklich ist, wo es unschicklich ist und wo es spielerische Möglichkeiten des Ausprobierens gibt, sich kritisch außerhalb des Duktus der Umgebung zu äußern, wo es ekstatische oder pragmatische Möglichkeiten gibt, humorige oder sensibilisierende, wo es peinlich oder erhebend ist. „Während Kant Raum und Zeit noch als gleichberechtigte Formen unserer Anschauung betrachtet, sind sie für Bergson wesensverschieden. Der Raum ist für ihn eine in sich homogene Summe von Punkten, die von Objekten eingenommen werden kann. Die rational und analytisch verfahrende Naturwissenschaft, so Bergson, betrachtet nur diesen Raum bzw. Teile davon. Wenn sie vorgibt, Zeit zu messen, misst sie in Wahrheit nur Bewegung im Raum, also die aufeinanderfolgenden Veränderungen der räumlichen Lage der Objekte. Die derart physikalisch verstandene Zeit ist eine ‘fragmentierte’ Zeit. Die Zeit, vor allem die der lebendigen Dinge, dagegen ist für Bergson nicht in Abschnitte einteilbar; sie ist wesentlich die unteilbare Bewegung selbst, das ständige, unvohersehbare und irreversible Anders-Werden, oder die ‘Dauer’ (la durée). Auch die anorganische Materie hat ihre Dauer: sie unterliegt der Entropie. Vor allem aber im Bereich des Lebendigen – mit dem sich das Hauptwerk Evolution créatrice auseinandersetzt – gilt, dass die Entwicklung nicht in Abschnitte einteilbar und virtuell nebeneinanderzulegen ist, sondern im ununterbrochenen Schaffen von neuem besteht“[2].
Diese unterschiedlichen ‘Zeiten’, oder ‘Zustände von Dauer im eigenen Lebensplan’ wie Bergson sie nannte, beginnen ihre eigene Geschichte zu schreiben und funktionale Rückbegründungen für das gewählte Verhalten notwendig zu machen, da die Mitmenschen erwarten, dass das eigene Verhalten schlüssig ist. Die Symbole, die für diesen Prozess stehen und den ‘technischen Ablauf’ unseres Alltags immer mehr regeln, sind keine ‘Vorkonstruktion’ unserer Welt, sondern ein Spiegel der momentanen, sozialen Wirklichkeit und der Notwendigkeit, die Absicht der eigenen Handlungen in eine ungewisse Zukunft zu projizieren, die logisch erscheinen muss, aber nicht immer ist. Damit schließt sich der Kreis. Erleben von Zeitdauer entsteht durch die Spanne von etwa 3 Sekunden, die das Bewusstsein schafft und in der es Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft zur Gegenwart verdichtet. Gleichzeitig blendet es Informationen der Wirklichkeit aus, wie wir es von Wahrnehmungstäuschungen kennen.
[1] Eine schöne Analogie war natürlich die Dauer des Umlaufs von Jupiter um den Tierkreis, die etwas mehr als 12 Jahre betrug, so dass jedes ‘Jupiterjahr’ einem Monat entsprach. Nach 12 Jahren legten alle Menschen dann hoffentlich ihren Besitz ab und organisierten sich von Neuem (Potlach).
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Henri_Bergson