Fächer wie Astrologie, Geomantie, Naturheilkunde, Harmonielehre, Alchemie usw. sind
Jahrtausende alte Begleiter unseres kulturellen Seins, über ihr „Revival“ wird regelmäßig
spekuliert, obwohl ihr Einfluss zu keinem Zeitpunkt als klein zu bezeichnen wäre. Ähnlich
der Geomantie z.B. bietet die Astrologie durch die Abstraktheit und Universalität ihrer uralten
Symbolik einen Zugang zu kulturübergreifenden Mustern der Geschichte, dessen
Verknüpfung mit abstrakten Denk-Systemen der Quantenphysik und holistischen Weltbildern
verführerisch ist. Dane Rudhyar war einer der ersten, die moderne Theorien der Quantenphysik, Holokratie und ganzheitliche Weltbilder zu einem spekulativen holistisch-astrologischen Weltbild zusammenformte.

Solange die Astrologie ihre eigenen Prämissen nicht geklärt hat, wird sie
vergeblich nach einer Verhandelbarkeit ihrer Weltbilder fragen und ihrer Rolle als Beobachter
zwischen den Überzeugungs-Systemen der Weisheitslehren, Religion, Wissenschaft und
Philosophie in der individuellen Beratung von Menschen nicht gerecht werden. Es sind
bestimmte Menschen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und diese Menschen
nehmen eine bestimmte Rolle in ihrem Umfeld ein.

An dieser Rolle misst sich die Bedeutung des Wissens für das soziale Verknüpfungsnetz der
Astrologie und ihre Realität in der Sprache. Die Ausbildung auch in anderen spirituellen
Fächern ist in fernöstlichen Ländern noch lebendig. Die moderne westliche Astrologie hat
viele ihrer Inspirationen über die Theosophie und der sich daraus entwickelten modernen
Esoterik aus Indien, China, Mexiko und anderen Kulturen genommen. In Russland ist diese
Synergie zwischen modernem und traditionellem Wissen auf dem Gebiet der Medizin sehr
beliebt. Auch in Deutschland ist der Heilpraktiker innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte von
einem Feierabendlehrgang zu einem Fast-Studium geworden. Medizin und Psychologie sind
z.B. zwei Fächer, in denen dieser Wandel heute sichtbar wird, nicht wenige Ärzte und
Psychologen praktizieren neben den offiziellen Techniken alternative Verfahrensweisen. Die
Astrologie kann im Diskurs der Naturwissenschaften dazu beitragen, historische Bezüge zu
klären und Dogmen zu hinterfragen, ohne sich den Argumentationsketten zu unterwerfen.
Dazu muss sie allerdings ihre Grundlagen klären und die Ausrichtung klar auf die westlichen
und rationalen Paradigmen des Wissenschaftsbetriebes legen.
Mit der Renaissance wurde die Astrologie aus dem allgemeinen Lehrbetrieb verdrängt und hat
sich Gruppierungen angeschlossen, die esoterisches und spirituelles Gedankengut bewahrt
und erneuert haben, aber durchaus aufgrund wirtschaftlichen Interesses handelten.
Rosenkreuzer, Freimaurer, Gnostiker und Theosophen u.a. haben das vorbereitet, was uns
heute in Form des „New Age“ als „alternative-spiritueller Zeitgeist“ wieder begegnet. Die
Astrologie hat von den spirituellen Weisheiten profitiert, sie muss aber ihren Weg
weitergehen; der Zeitgeist bleibt nicht stehen. Die Ausweitung auf „Archetypen“,
„Typologien“, „kosmische Gesetze“ wie die sentimentale Rückbesinnung auf
„Charakterkunde“ und „universelles Wissen“ führt in ihrer seltsamen Mischung momentan
dazu, dass sich die Astrologie von ihren Wurzeln der Erfassung von gesellschaftlichen Phänomenen entfernt.

Wo sie eigentlich kritisch sein sollte, hindert sie das „spirituelle Kategorisieren“ ihren eigenen
blinden Fleck zu erkennen und vergisst, dass Horoskope nicht dazu da sind, „Bewusstsein“ zu
messen, „Lebenshilfe zu geben“ oder „schwierige Themen zu erlösen“. Astrologie ist ein
Analysesinstrument des Verstandes das begriffliches Denken schärft. Wer sie als Trost und
Seelenspender nützt, wird ihre Begrifflichkeit beliebig auf seine persönliche Weltanschauung
zu übertragen versuchen. Jede ideologisch geprägte Abänderung des systemischen Settings
führt zum Verlust der Präzision ihrer Begrifflichkeit und der speziellen Bedeutung ihrer
Symbole, deren aktueller, kritischer Kontext in der Kritik der seichten Lebenswelt wichtig für
das Verstehen der Zusammenhänge bei Konflikten und Missständen ist. Es ist allerdings nicht
leicht zu unterscheiden, was eine ideologische Interpretation und was eine Interpretation im
Sinne einer modernen, kulturbereichernden Strömung ist. (Siehe Fragebogen im Meridian 01/06/).
Die Lehren des Ostens haben dem Westen geholfen, das dunkle 20. Jahrhundert und seine
spirituelle Sinnkrise zu überwinden. Dies war auch für die westliche Astrologie sinnstiftend.
Doch andererseits hat sie durch ihren Kontakt mit fernöstlicher Mystik eine schwer zu
überwindende Barriere zum Wissenschaftsbetrieb errichtet. Wenn z.B. Begriff wie Karma,
Reinkarnation, Wassermannzeitalter und ähnliches unreflektiert benutzt werden, ist eine
saubere Trennung zu pseudo-religiösen Inhalt nur schwer aufrecht zu erhalten. Das „New
Age“ hat der Astrologie einen neuen Sinnhorizont eröffnet, neue Kunden gebracht und unser
Fach in Kontakt mit dem Heilungsmythen der Neuzeit verknüpft.
Gleichzeitig gewann der Buddhismus fast ebensoviele Anhänger in Europa und in den USA. Diese Entwicklung
nahm ihren Anfang im deutschen Idealismus, der sich stark mit indischer Philosophie und Religion
auseinandersetzte, der Fischegeborene Schopenhauer erzielte seinen Durchbruch mit Fische in Neptun um 1848.
Der große Teil des „Klientels“ besteht aus Frauen zwischen 45 und 60, während bei Astrologielehrern Männer
mehr Erfolg zu haben scheinen, dies zeigt mir eine mögliche Fokussierung auf einen Kreis von Personen, die
von der Astrologie eine Art Lebenshilfe in der Midlifecrisis erwarten mit Übertragungsmechanismen männlicher
Autorität.
Der Computer hat zeitgleich die technischen Möglichkeiten geschaffen, das vernetzte Wissen der Astrologie und ihr multifunktionalen Sprach-Strukturen optimal einzusetzen. Die durch diesen Gegensatz von Spiritualität und
Wissenschaft hervorgerufene Spannung hat nicht nur in der Astrologie zu einer babylonischen
Sprachverwirrung geführt. In der Psychologie sind esoterische von wissenschaftlichen
Ansätzen oft kaum mehr zu unterscheiden.
Astrologie ist auch die Kunst, mit Sprache allgemein, nicht nur psychologischer
Begrifflichkeit umzugehen; mit Metaphern und Allegorien aus anderen Kulturkreisen und
Zeiten. Sie arbeitet momentan innerhalb der „spirituellen Kreise“ vordergründig häufig auf
der Ebene der therapeutischen Beratung und Lebenshilfe, dahinter aber ist sie eine Methode
der Reflexion über Fragen der Erkenntnis und der Bedeutung von Begriffen innerhalb des
sprachlichen Habitus von Systemen. Sie hat eine einmalige Topic, die Begriffszuordnung
leicht macht und systemisch-therapeutische, sprachkritische, soziologische, medizinische,
psychologische, u.a. Ansätze verstehen hilft und in ihrer begrifflichen Wurzel vergleichbar
macht. Als Therapie taugt sie meiner Meinung nach nicht. Dazu erfüllt sie weder die
Voraussetzung einer allgemeinen Methodik, noch besitzt sie die notwendige deutliche
Trennung von anderen Methoden, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse möglich machen
würde. Das Horoskop stellt immer eine Augenblicksbetrachtung dar, eine Realisierung im
Hier und Jetzt, die durch ein methodisches Zurückgehen in der Zeit die Neutralität (die
natürlich nie ganz möglich ist) der Betrachtung stören würde.
Gesellschaftliche Handlungsweise bewegt sich immer in einem Spannungspol, etwa zwischen
Fortschrittsglauben und Selbstdarstellung (Uranus) auf der einen Seite und warnender,
sittenerhaltender Haltung (Saturn) auf der anderen Seite oder innerer, spiritueller Orientierung
(Neptun) und äußerer Ideologie und Orientierung an Idealen (Jupiter). Jede kommunikative
Handlung ist im sozialwissenschaftlichen Sinn auch eine Kritik am System und damit eine
mögliche Veränderung der Prämissen – insbesondere wenn sie in der Absicht von Beratung in
schwierigen Lebenslagen erfolgt. Es gibt für den Menschen keinen geschlossenen
Lebensraum, keine definierten Muster, die zu seinem Überleben tauglich wären. Er muss sich
diese immer erst in der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten selbst schaffen. Da sich
die Handlung des „Homo Symbolikus“ in einer universellen Zeichensprache ausdrückt, ist
dieser Bezug immer ein theoretischer und praktischer zugleich. Er kann produktive
Erneuerung sein oder kritische Distanz – oder beides zugleich. Der Computer hat die Astrologie ohne Zweifel revolutioniert und zu einem anderen Fach gemacht. Die Möglichkeiten des Vergleichs aus tausenden von Horoskopen und Berechnungsmöglichkeiten, das Diskutieren in Internet-Foren und der fachübergreifende Austausch war vorher nur marginal möglich. Dass Astrologie eine Tendenz zu Weisheitslehren hat, heißt nicht, dass sie nicht auch außerhalb der Weisheitslehren verhandelbar wäre. Vielleicht war es auch ihre Aufgabe, die Weisheitslehren in der Zeit der monotheistischen Religionen und Naturwissenschaften zu bewahren helfen.
Für die Astrologie, die die Handlungsweise des Menschen mithilfe einer „Technologie“
(Sternzeitmessung) im Voraus erkennen möchte, bedeutet dies Selbstbescheidung. Sie kann
nicht versuchen, die Konstellationen in einer technokratisch-objektiven Weise statistisch zu
begründen. Das würde sie zum Helfer totalitärer Bestrebungen machen, die beobachtetes
Verhalten nach Regeln sanktioniert oder belohnt, die durch die Systematik der Beobachtung
selbst vorgegeben sind. Sie muss eher versuchen, die Vergangenheit jeder Interpretation im
gleichen Moment zu erfassen, und die Ergänzung der fehlenden Aktualität als das werten, was
es ist: Eine Manipulation der Umstände, deren endgültiges Urteil im Vorhinein für den
Einzelnen meist feststeht, indem er einem der zu interpretierenden Pole natürlicherweise
zugeneigt ist. Der Lebensraum des Menschen beschreibt sich durch die psychologischen und
kulturellen Symbole, wie sie durch die Zeichen der Astrologie seit Jahrtausenden repräsentiert
wird. Der Venustypus wird meist in einer liebevoll, distanzierten Haltung gegenüber dem
erfolgsheischenden Jupitertypus bleiben, der Mondtypus in einer abwartenden und
angepassten Haltung gegenüber dem uranisch, revolutionären Typus sein.
Einem aggressiven Tyrann wird Mars letztendlich immer ein unrühmliches Ende bereiten und
einem dogmatischen Fanatiker Saturn die Grenzen aufzeigen. Das ist nicht weiter erstaunlich.
Die Interpretation der Astrologie wirken immer schon in einem gesteckten Rahmen, der dem
Moment der Aktualität knapp verpasst und in diesem Zeitverzug spekulieren muss, was sein
wird. Darin liegt trotzdem eine Objektivierung. Ein signifikantes Symbol hinterlässt einen
bleibenden Eindruck und hat im individuellen Horoskop seine Relevanz, indem sie ein
besonderes Verhaltensmuster in einem schwierig empfundenen Kontext sichtbar werden lässt.
Die eigentliche Beziehung zwischen diesem Eindruck und dem realistischen Geschehen muss
aber dunkel bleiben, wenn sie nicht auf dogmatische Weise erwünschtes Verhalten
reproduzieren will. Zwischen den Symbolen wirken komplexeste Strukturen des Verstehens,
deren exakte Analyse hoffnungslos ist, da der Sprechende immer ein Teil des Geschehens ist.
Aber: Das Gesagte in der Astrologie wird durch die Sterne zumindest protokolliert und ist
durch sie insofern erfassbar, als im Vorhinein eine rekapitulierbare Prognose erstellt wurde –
die Bedingungen für das Zustandekommen der Aussage also kontrollierbar sind. Was wir
sehen und hören ist durch unseren Fokus festgelegt – aber wir erinnern uns an diesen
normalerweise nicht lange. Wenn der Mars über den Aszendenten gegangen ist und der
Geborene den Impuls für einen Neuanfang bekam, dann ist dies bemerkenswert. Es ist sogar
wahrscheinlich, wenn sie der Geborene ausführlich mit diesem Planeten Mars und seinen
Prinzipien beschäftigt hat. Solange sich nicht ein neues Symbol in die Aufmerksamkeit
schiebt, während hundert Andere Symbole unbemerkt und ungedeutet bleiben, die das
Gegenteil besagen, wird die Deutung eine Be-Deutung haben.
In den Sozialwissenschaften, zu denen auch die Astrologie zu zählen wäre, wenn sie
wissenschaftlich arbeiten würde, geht es um die Wechselwirkung zwischen Menschen und
Gesellschaft. Beratung benötigen diejenigen, die im gesellschaftlichen Miteinander auf
Konflikte stoßen. Ausgrenzungen von Unverstandenem sind ethisch problematische
Angelegenheiten, die nicht allein durch „rationale Fakten“ aus der Welt geschafft werden
können. Gesellschaft entsteht im lebendigen Diskurs über wechselnde Vorzeichen, in der es
keine feststehenden Gesetzmäßigkeiten gibt, sondern im Gegenteil eine grundsätzlich offene
Zukunft. Auch die Astrologie kann keinen Wahrheitsanspruch außerhalb dieses Diskurses für
sich beanspruchen, es wäre absurd, den Menschen helfen zu wollen, indem man sie auf
kausale Funktionen festlegen würde, die den offenen Austausch behindern würden. Die Sterne
prägen nicht unser Schicksal. Wir benützen die Sterne um unserem Empfinden einen
Ausdruck zu geben, der angesichts der unfassbaren Größe und Präzision des Kosmos
Berührung, Erregung und Verbundenheit schafft.
Historisch hat die Astrologie in der Beratung der Mächtigen und Reichen einen großen
Einfluss auf die Entwicklung von Gesellschaft auch ohne die Akzeptanz der „herrschenden
Meinung“ gehabt. Als gleichzeitig „technokratisches Wissen“ und Lebenshilfeberatung ist sie
eine Vermittlerin zwischen den Mächtigen und dem Volk gewesen, dessen Weisheit und
kosmologisch-psychologischer Kenntnisse sie sich bedient hat und im Ausgleich
psychologische Informationen über die Herrschenden geliefert hat. Die Institutionen haben zu
allen Zeiten die Astrologie deswegen abgelehnt, weil sie den Deutungsanspruch über den
Kosmos und seine Mythen selbst nicht abgeben wollten, weder die Kirche oder die Politik,
noch die Philosophie oder die Wissenschaft. Gerade deshalb ist es interessant, dass
Astrologie die Zeit überdauert hat und Lösungsmöglichkeiten für Konflikte gefunden hat. Sie
muss auf eine geheimnisvolle Weise Institution für die Bevölkerung sein sein, ohne dass ihre
Kommunikationen im „offiziellen Kanon“ existieren. Falls Astrologie tatsächlich
wissenschaftlich betrieben werden würde, würde es sofort auch „Gegner“ geben, die das
Gegenteil zu beweisen versuchen würden, da ansonsten die komplette Geschichte
umgeschrieben werden müsste. Genau in diesem Prozess liegt der Mythos des Menschseins
aus der „Lücke in der Selbstbegründung“. Allerdings muss die Astrologie auch aufpassen,
dass sie nicht ganz verschwindet, da 50% der Menschen inzwischen studiert sind und sich
nicht mit unausgegorener Küchenpsychologie beschäftigen.
Gesellschaft entsteht für Luhman in erster Linie dadurch, dass Handlungsweisen ersetzbar
sind und polykontextural verwendbar. Die Struktur folgt den Ereignissen und gibt sie nicht
umgekehrt vor. Sie ist eine Folge unserer Wahrnehmung der Ereignisse und der Gewohnheit
der Betrachtung. Unsere Realität entsteht in jedem Augenblick neu aus dem Pool von
Handlungsmöglichkeiten, von Alternativen, die durch vielfältige Erwartungsstrukturen am
Leben gehalten werden. Für den Astrologen, der sich ähnlich systematisch wie die
Systemtheorie an seine Aussagen heranarbeitet, ist es augenscheinlich, dass seine
Interpretationen auf Erwartungen beruhen, die er mit dem Eintreffen der
Planetenkonstellationen verbindet und es ist Tatsache für ihn, dass er flexible
Deutungsmethoden parat hat , um der Komplexität der Situation gerecht zu werden. Es wäre
geradezu verrückt, einen Menschen auf eine einzige monokausale Wirkung eines Planeten
festlegen zu wollen, deren Wirkung nur so und nicht anders eintreffen kann. Es gibt eine Art
„Lebensplan“, wie auch Bergson ihn sah, einen Strom von Willensäußerungen, die für den
einzelnen Menschen identitätsbildend sind. Doch dieser Plan ist nicht „niedergeschrieben“, er
ergibt sich aus dem Bewältigen der Situation in immer wieder neuer Konstellation. Damasio
nannte es das Kernselbst, das gewissermaßen aus der wiederholten Erzählung der eigenen
Geschichte immer neu in der Situation entsteht. Das Horoskop sieht nur wie eine Fixierung
eines Status Quo aus, in Wirklichkeit ist seine Deutung mit jedem Ansehen eine andere. Es ist
eine wunderbare Täuschung, die unseren Verstand dazu zwingt, die Zeit anzuhalten und die
Ewigkeit zu fokussieren. Um die komplizierten Erwartungsstrukturen an das zukünftige
Leben zu ordnen, ist das Horoskop ein Versuch der Verständigung vor einem grundätzlich
beliebigen Deutungshorizont, da das Thema sich immer rekursiv aus der Wechselwirkung mit
der Fragestellung ergibt, wenn man in diesen Strukturen geübt ist.
Die astrologische Deutung muss nicht nur der Situation des Klienten gerecht werden, sondern
auch dessen Position innerhalb der gesellschaftlichen Erwartungen. Fähigkeiten, die sich im
Horoskop andeuten sind bedeutungslos, wenn sie den Betreffenden im Alltag nicht
weiterbringen. Es besteht eine Erwartung, dass die Aussage des Astrologen im Rahmen der
gesellschaftlichen anerkannten Konventionen und Umstände bleibt. Der Astrologie kann nicht
das Korsett der Lebensumstände verlassen, die unser Lebensplan vorsieht. Das ist die
eigentliche Determination und sie führt zur berechtigten Frage, ob Astrologie hilft, Vorurteile
zu zementieren und überkommene Weltbilder am Leben zu erhalten. Unter den Aussagen der
Astrologie liegt immer eine unterschwellige Kritik am Verfahren selbst, da sie den Menschen
der spontanen Willensentäußerung entzieht und ihn auf subtile Weise der Symbolik des
Zeitgeistes einverleibt. Um sich dem Mythos zu nähern ist kein Verzicht auf rationale
Denkmodelle notwendig, allerdings ist eine offene Haltung gegenüber „fremdartig-
irrationalen“ Verhaltensweisen wünschenswert. In einem Feld der Esoterikangst wird es
schwierig, dies zu trennen. Der Mensch hat einerseits den berechtigten Wunsch nach
Sondierung der Fakten und möglichst einfachen Erklärungen für sein Schicksal. Andererseits
produzieren Systeme, die zu simple Erklärungsmuster anbieten, Beliebigkeit.

Die moralische Forderung, keine Prognosen zu betreiben, ist paradox, weil es genau um
diesen „soziologischen Markt der gesellschaftlichen Zukunfts-Möglichkeiten“ geht, in dem
der Mensch sich durchzusetzen hat. Es ist die Methode der Astrologie selbst, die es
unmöglich macht, eine endgültige Entscheidung über irgendeine ihrer Aussagen festzunageln.
Universelle Theorien behandeln sich nach Luhmann vor allem selbst als Gegenstand. Indem
wir Astrologen uns mit Theorien über uns selbst beschäftigten, können wir keinen wie immer
gearteten Wahrheitsgehalt anbieten. Es muss dem Klienten und Berater klar sein, dass die
Schlüsse aus den Deutungen vollkommen beliebig sind, auch in dem Moment, wo sie sich auf
die ungreifbaren und teilweise amoralischen Mythen der Anti-Gesellschaft beziehen und die
„innere Wahrheit“ des Systems präsentieren. Die Gewissheit der potentiellen Unsittlichkeit
ihrer Aussage ist im System der Astrologie eingebaut, weil sie nichts ausschließen kann, was
an Bedeutung des Gesagten nicht verstehbar wäre. Der Klient muss die Schlussfolgerung aus
dem Gesagten grundsätzlich allein ziehen. Es ist für ihn beruhigend, im Moment das Aha-
Erlebnisses jemand bei sich zu haben, der ihn vermeintlich versteht, aber was er verstehen
wird, ist völlig unberechenbar.
Die Handlungen des Menschen stehen immer in einem Geflecht von Beziehungen und
Bedeutungen, die den einzelnen Handlungsmustern zukommen. Dinge ordnen sich im
Geflecht, in der Kompilation, im Ensemble, sie bilden Strukturen und Bezüge, deren
scheinbaren „Erstursachen“ mit der Flut der medialen Interpretation verloren gehen. Unsere
Identität entsteht aus der sprachlichen Verortung in Raum und Zeit. Wo wir sind, wer wir sind
und wann wir sind erscheint in dem jeweiligen Kontext der situativen Perspektive. Für
Cassirer ist die Bedeutung eines sozialen Sachverhalts sowohl abstrakter als auch konkreter
Natur. (… Das Verstehen von Bedeutung setzt die Fähigkeit voraus, Wirklichkeit und
Möglichkeit strikt unterscheiden zu können…](11 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, F. 1990).

Neben den Fakten sind stets auch idealisierende Motive und Überzeugungsmuster von Bedeutung, deren Idealgestalt und symbolischer Charakter bewusst ist. Astrologen glauben nicht wirklich daran, dass sich
Menschen in 12 Kategorien unterscheiden. Sie sind ein Erfahrungswert, dessen
Wahrheitsgehalt sich aus dem historischen Gebrauch ergibt, ähnlich den Idealtypen Max
Webers. Sie erlauben eine Bestimmung des Gegenstands ohne ihn zu bedeuten, sie verweisen
auf eine mögliche Wirklichkeit innerhalb des gesteckten Rahmens und der Möglichkeit, sich
die eigene ideale Welt zu entwerfen. Wir sind keine „Idealisten“ oder „Märtyrer“ oder
„Bohemians“, „Konservative“, „Liberale“, „Grüne“, „Widder“ oder „Stiere“ sondern
Menschen in der Konstruktion des eigenen Mythos und der Rekonstruktion der geistigen
Herkunft.
Standpunkte entstehen durch das Experimentieren mit Überzeugungen. Lebenslanges Lernen
bedeutet lebenslange Umdeutung der Vorzeichen und ständige Bereitschaft, die eigenen
Überzeugungen in Frage zu stellen und an die veränderbare Realität anzupassen. Eine
sozialwissenschaftliche Realität kann keine Gesetze und Kausalitäten behandeln, denn diese
glichen normatischen Vorgaben von Ideologien, deren Überprüfung nicht mehr möglich wäre.
Zu fordern, dass sich mit jedem Übergang des Mars ein neuer Impuls einstellen müsste, wäre
vermessen. Zumal dann, wenn damit die Erwartung an ein Handeln gestellt ist für einen
Menschen dessen momentanes Problem Passivität ist. Die Beobachtung von Gesellschaft
erfordert die Setzung eines Rahmens, innerhalb dessen die Spielregeln mit den Bedingungen
wachsen können. Sozialarbeit und Beratung besteht mehr aus dem Eintauchen in die
Wirklichkeit der „Mythen der Straße“ als aus einer geregelten Verordnung von
Handlungsvorgaben. Wir sind nicht aktiv, weil der Mars irgendwo steht, sondern weil wir
unsere Aktivität als eine Spezielle mithilfe des Bildes von Mars in einer bestimmten
Konstellation mit der Bedeutung „aktiv“ wieder erkennen. Der konkrete Bezug wird immer
erst interpretierend hergestellt, der Mars sozusagen immer wieder neu in seinem Verhältnis
zum Tierkreis und zu den anderen Planeten als „mein Mars“ im Denken erschaffen.
In einer Beratung kommen meist empfindliche Themen zur Sprache, die mit der
Unmöglichkeit zu tun haben, den momentanen Anforderungen der Mitwelt adäquat begegnen
zu können. Der Berater versucht, den Rahmen zu verstehen und mit dem Klienten ein Bild zu
finden, dass die Situation ausdrücken hilft. Es ist ein Mitfließen mit den Ausgesonderten, ein
Verstehen der Orte, an denen sich die Mythen nur indirekt ausdrücken, weil es keine
Möglichkeit gibt, sie zu integrieren. In den „Dystopien“, wie Foucault es im Ersatz für das
mystisch numinose, unbenennbare nannte, Orten, die sich dem objektiven Beobachter
entziehen wie Internate, Gefängnisse, Friedhöfe, Kasernen, Bordelle, Psychiatrien, politische
Hinterzimmer oder auch in geheimen Liebesbeziehungen und Berufen, die zur
Schweigsamkeit verpflichten, erscheinen die abgründigen Nicht-Strukturen der Gesellschaft
besonders deutlich. Jeder Mensch ist auf eine Weise ein Sonderling, ein schwarzes Schaf an
einem Ort der „Nicht-Existenz“ mit einer nicht vollständig erschließbaren Erfahrung.
Nichtkonformität und Selbstkritik ist die Voraussetzung, um dem extremistischen Sog dieser
Räume zu begegnen und sich zu demokratischer Verfassung aufzurufen und angesichts der
ständig drohenden Rechtsverletzungen und Übergriffe nicht selbst zu verrohen. Zwischen den
Gefahren der gesellschaftlichen Stigmatisierung und der Selbstausgrenzung durch
abweichende Meinung pendelt das Dasein in diesen Räumen des Dystopischen, über die sich
nicht anders als in symbolischer Form sprechen lässt, um ihre Struktur zu erfassen. Die
Aufzeichnung und Bewahrung des Mythos, der Archetypen und die Hinterfragung des
„Schatten“ ist die erste Form des konstruktiven Verstehens von zerfallenden
Gesellschaftsstrukturen und persönlichen Lebenskrisen.
Der Mensch lebt nicht in einer geschlossenen „Umwelt“. Er ist nicht durch seine Instinkte
konditioniert, sondern hat sie nach Ansichten der philosophischen Anthropologie vielmehr
verloren. Der Mensch richtet sein Leben darauf aus, in einer tierischen Welt angesichts seiner
Instinktarmut einen sinnvollen Platz zu finden. Sein Lebensbezug ist immer weltoffen, er
erschafft seine eigenen Lebensräume selbst. Damit bezieht sich sein Umgang mit der Natur
immer auch vorgreifend die Veränderungen, die er durch seine Technologien herbeiführen
wird, seien dies Speerspitzen, Feuersteine, Computer oder Atomkraftwerke. Zukunft ist
wesentlich das, was wir in der Auseinandersetzung mit den Problemen der jeweils neuesten
technischen Mittel hervorrufen. Wir erwarten nicht, dass es morgen keine I-Phones, keine
Computer und Kinofilme mehr gibt, aber wenn es stattdessen etwas anderes gibt, sind wir
auch nicht überrascht. Wir erwarten auch nicht, morgen wieder im Wald zu leben und Kräuter
zu pflücken, bzw. erwartet dies nur eine kleine Minderheit. Nach Luhmann bekommt die
Gesellschaft Stabilität durch das Eintreffen von Erwartungen. […Soziale Systeme bestehen
aus faktischen Handlungen, die sinngemäß zusammenhängen. Ein solcher
Sinnzusammenhang gewinnt Dauer, Konsistenz und Konsensfähigkeit dadurch, dass das
Handeln typisch erwartbar wird. Nicht im rein faktischen Vollzug und auch nicht allein in der
Kausalität ihrer Bedingungs- und Wirkungszusammenhänge können Handlungen zu
Systemen zusammengeschlossen werden, sondern nur durch Stabilisierung von
Verhaltenserwartungen; denn die Anstöße und Wirkungen des Handelns reichen stets über
Systemgrenzen hinaus, die durch Verhaltenserwartungen definiert werden….] (Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung, Band 1, 5. Auflage, S. 42)

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